Kolumne Die eine Frage: Das kann nur Schweini
Bastian Schweinsteiger ist neuer Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft. Ist er auch der Richtige für diese Aufgabe?
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S elbst wenn der unglückliche Fall einträte und Bastian Schweinsteiger es mit seinem von zwölf Jahren Profifußball malträtierten Körper nicht mehr zur EM 2016 schaffen sollte: It had to be Schweini.
Die Berufung von Schweinsteiger, 30, zum Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft durch Bundestrainer Löw ist menschlich, fachlich und symbolpolitisch zu begrüßen. Und zwar nicht, weil er sich im siegreichen WM-Finale mit blutendem Körper für Deutschland aufgeopfert hätte. Das ist erstarrtes Quatschdenken in den Bildern der revanchistischen Fußball-Instrumentalisierungen von anno Tobak.
Schweinsteiger steht nicht für unser Land, sondern für unsere Sehnsucht.
Wenn wir von den großen deutschen Kapitänen reden, dann war Fritz Walter (Weltmeister 1954) der Weltkriegssoldat, der für die Möglichkeit des anderen Deutschlands stand. Uwe Seeler (Vize 1966) mit seinen aufgekrempelten Ärmeln war das Symbol des Wirtschaftswunders. Franz Beckenbauer (Weltmeister 1974) stand für die nachkriegsgeborene erste Profi-Generation von Fußball und Gesellschaft. Lothar Matthäus (Weltmeister 1990) war in einem Team von Weltklassespielern schlicht der Allerbeste. Jürgen Klinsmann (Europameister 1996) stand für die Vereinbarkeit von Individualismus und kollektivem Sich-den-Arsch-Aufreißen. Michael Ballack (kein Titel) stand grandios allein da, weil die Struktur nicht mehr konkurrenzfähig war.
Clever Eigeninteressen durchgesetzt
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Regierung und Opposition debattieren über ein neues Prostitutionsgesetz. In der taz.am wochenende vom 6./7. September 2014 streiten ein Streetworker, ein Freier und eine Prostituierte. Außerdem: Unsere Autorin hat eine Woche in einem Dorf in Mittelhessen verbracht. Ein reales Theaterstück. Und: Wie der Fotograf Kieran Dodds den Stolz rothaariger Schotten entdeckte. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Philipp Lahm (Weltmeister 2014) ist das Symbol der zweiten großen Professionalisierung der Bundesliga und der wichtigste Repräsentant des neuen Spielertyps: Er spricht mit – und gestaltet aktiv mit. In der Außendarstellung ersetzte Lahm die albernen Chefgesten von Matthäus und Kahn durch professionellen Kommunikationsservice. Er setzte clever Eigeninteressen durch, aber agierte stets auch im Sinne des Projekts, dessen erster Mitarbeiter und Umsetzer er war.
Bastian Schweinsteiger steht nicht für diese Generation, auch wenn er gleich alt ist wie Lahm. Er ist kein allzeit verbindlich-unverbindlicher Firmensprecher wie sein Bayern-Kollege. Er wirkt genau dadurch authentisch, weil man ihm sofort anmerkt, wenn er unecht spricht. Er hätte wohl auch kaum seinen Vorgänger so abserviert oder abservieren können, wie es Lahm dereinst mit Ballack machte. Er wartete anständig, bis er dran war. Und auch deshalb ist es schön, dass er nun dran ist.
Er ist ein Straßenfußballer, der sich im Lauf der Jahre selbst radikal professionalisiert und modernisiert hat. Der sein Spiel minimalisiert hat, bis es maximal war. Heute vereint es Kampfgeist und Spielkultur, Strategie und Wille, hundert kleine Bälle und den einen ganz großen Ball.
Vor allem aber ist Bastian Schweinsteiger der Adressat und das Symbol für die Sehnsüchte, die erwachsene Menschen in den Fußball projizieren. In seinen größten Momenten steht er für einen echten, reinen und schönen Fußball. Aber nicht als nostalgische Retro-Sehnsuchtsfolie nach einer Welt, wie sie nie war. Sondern auf der Höhe der Zeit und im Angesicht sämtlicher Verwerfungen des Profifußballs.
Diese universale Sehnsucht kann kein Lahm, kein Neuer, kein Khedira, kein Reus und schon gar kein Götze erfüllen. Das kann nur Schweini. Bastian Schweinsteiger ist der Letzte von gestern und der Erste von heute. So einen wird es nicht mehr geben.
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