Kolumne Die Kriegsreporterin: Man steckt ja nicht drin
Bei der „Süddeutschen“ zucken alle zusamen, wenn das Internet angeht, Gruner + Jahr verkauft sein Haus und Focus.de arbeitet mit miesen Tricks.
H allo taz-Medienredaktion! Kennst Du das? Ein Text beginnt mit der Phrase „Wer kennt das nicht?“ So soll es angeblich ständig geschehen in der deutschen Presse- und Phrasenlandschaft. Bei Turi2 habe ich gelesen, dass der Journalist berichtete, dass jemand sich die Mühe mache, Texteinstiege dieser Art zu sammeln. Dinge gibt’s, die gibt’s gar nicht. Hat mein Opa immer gesagt. In echt. Ich bin mir ja total sicher, noch nie, noch absolut nie, nie, nie einen Text mit diesem Satz begonnen zu haben. Aber, wer weiß das schon? Man steckt ja nicht drin.
Auch nicht drinstecken tu ich in der Süddeutschen Zeitung. Das ist die Tageszeitung, die beim Pro-Quote-Kamelrennen immer Letzte ist. Dabei geht es um die Frage, wo am meisten Frauen im Bestimmersattel sitzen, weswegen das süddeutsche Kamel immer sehr traurig zurückbleibt. Jetzt ist wieder ein Sattel in der Chefredaktion zu besetzen, und nicht nur, dass es wieder keine Frau wird, zur Abwechslung wird auch an dem Mann, der dafür vorgesehen ist, rumgemosert.
Der kommt nämlich aus dem Bereich „online“. Das ist der Bereich mit dem Strom, der für das Ende des Printjournalismus verantwortlich sein wird. Bei der Süddeutschen muss es so sein wie bei Catweazle: Wenn das Licht bzw. das Internet angeht, zucken alle zusammen und verstecken sich unterm Schreibtisch. Du siehst, Medienredaktion – ob Frau oder Mann mit Strom, wenn Du nicht so richtig, richtig old school bist und Deine wichtigste Währung nicht die ist, auf der Titelseite oder auf der Seite 3 was abzusalmen, zählst Du nicht. Wer hätte das gedacht?
Auch nicht gedacht hätte ich, dass es „bei der Bild-Zeitung nur zwei Jobs gibt. Kai und Lakai“. Das sagt Tom Junkersdorf, der sich als Bild-Unterhaltungschef à la Kai in der Pornovergangenheit von Sibel Kekilli gesuhlt hat und jetzt beim Bauer-Verlag als Tom-Tom den Weg durch den Gossip-Dschungel bahnt. Junkersdorf verantwortet das Blatt Closer, das mit seiner Ausrichtung auf das zwischenmenschliche Versagen von Sylvie van der Meis und der Handtasche von Kim Kardashian ein leider Gottes erschreckend erfolgreiches Heft macht.
Gerne würde ich nach so viel Horror sagen: Schreck, lass nach! Aber es ist kein Ende des Schreckens in Sicht, denn Focus.de, das … ja was eigentlich? Also das Dings im Netz mit so Zeug drin, wird neuerdings häufiger angeklickt als Spiegel Online. Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt! Zumal Leute, die das genau, sehr genau beobachten, sagen, das wäre so, weil Focus.de mit billigen Tricks arbeiten würde. Etwa damit, Meldungen mit großem Klickpotenzial, leicht verändert, mehrmals am Tag online zu stellen. Das bestärkt mich nicht nur in der Vermutung, dass die Focus.de-Leser ziemlich dumm sind, es zeigt auch mal wieder, dass in Bayern die Lüger- und Betrügerbereitschaft schlichtweg sehr hoch ist. Kein Anstand im Wurstgebiet. Da nützt auch der SM-Heilige an der Wand nix.
Dass Ehrlichkeit am längsten währt, macht die liebe kleine taz deutlich. taz – wer kennt sie nicht?! Die wirtschaftet so redlich, dass sie sich jetzt ein neues Haus bauen kann, während Gruner + Jahr überlegt, seine Inhalte-Hütte zu verkaufen. Um dann als Mieter dort weiterzuarbeiten. Ich schlage vor, man holt als Berater Thomas Middelhoff. Der kennt sich mit derlei Vorhaben aus seiner Karstadt-Zeit bestens aus.
Und wo ist schon der Unterschied, ob man Unterwäsche oder das verkauft, was sich vor Julia Jäkel und Stephan Schäfer „Journalismus“ nannte? Mit einem schönen „Heiter kommt weiter!“ aus Hamburg gebe ich zurück nach Berlin!
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