Kolumne Die Kriegsreporterin: Professor Hastig bei den Tagesthemen
Sozialexperimente im Fernsehen: Bei Privatsendern treffen jetzt Nackte aufeinander. Die ARD hingegen setzt auf Ganzkörperansicht.
H allo, taz-Medienredaktion! Was bin ich froh, nicht zum Fernsehen gegangen zu sein! Da muss man wirklich schrecklich up to date sein, sich ständig was Neues ausdenken und auch solchen Leuten ChefInpositionen zutrauen, die Information über so einen Kasten verbreiten, der mit Strom zu tun hat.
Natürlich kann es auch beim Fernsehen mal vorkommen, dass man vergisst, Kapuzenpulliträger aus der Neo-Nische herauszuholen – apropos Böhmi, wie ist das Gespräch mit dem Programmchef gelaufen? Wird das Neo-Magazin bald im ZDF wiederholt? – aber so generell gesprochen, sind die beim Fernsehen doch mehr auf Zack.
RTL zum Beispiel. Ein Programm seit Jahren führend in der Sozialstudie. Wie kein anderer Sender richtet RTL den Blick auf den Menschen, sein Umfeld und das Miteinander. In studiengleichen Beobachtungsprozessen zeigt es, was mit uns geschieht, wenn wir zu eng beieinander wohnen, uns ohne materielle Sicherheit durchs Leben kämpfen müssen oder eine fremde Frau den Platz an der Rudelspitze einzunehmen versucht.
Aber auch den Kampf zwischen Biologie und Moral hat der Sender immer wieder dargestellt, wenn Menschen mit betonten sekundären Geschlechtsmerkmalen und herausgestellten Signalen der Paarungsbereitschaft aufeinandertreffen.
Mit seinem neuesten Plan erfindet RTL quasi auch das Erfinden neu. Es sollen sich nicht länger bekleidete Menschen begegnen, sodass der Zuschauer bang die Frage verfolgen kann, finden die sich so geil, dass sie sich ausziehen? Nein, jetzt sollen sich zwei Nackte treffen, und die Frage lautet: Werden sie sich auch angezogen toll finden?
Laut Spiegel läuft auch dies bei dem Sender unter „soziales Experiment“. Zunächst produziert man Folgen, in denen die Nackten sich auf einer warmen Insel begegnen. Viel mehr aber freue ich mich, wenn das Experiment auf die Bürosituation und die RTL-typische Hochhaussiedlung übertragen wird.
Dass man sie endlich im Ganzen sehen kann, freut die Moderatorin Caren Miosga, die bei der ARD die „Tagesthemen“ moderiert. Die ARD hat ihren Nachrichten ein neues Studio spendiert, und zumindest in der Sendung „Tagesthemen“ sollen die Moderatoren auch im Gehen sichtbar sein.
Jetzt rächt sich, dass der Sender Thomas Roth verpflichtet hat. Während Moderatorinnen mitunter bereits mit Anfang 50 vom Schirm verschwinden, wurde aus Proporzgründen dem 63-Jährigen die Moderation überlassen, der als eine Art Professor Hastig der „Tagesthemen“ die Zuschauer in den Schlaf murmelt.
Wie großartig hätte es sein können, wenn es nun Ingo Zamperoni überlassen wäre, durch die Sendung zu führen! Wie Gene Kelly einst durch den Regen tanzte, würde Ingo Zamperoni leichten Fußes durch die Krisengebiete dieser Welt führen.
Aber nein! Ein erstes, unglückliches Bild von Opa Roth in Bewegung hat bereits gezeigt, warum in der Sesamstraße dort, wo Professor Hastig war, Kermit danebenstand.
Eine ähnliche Thematik beschäftigt mich rund um den Feinschmecker. Wo, so frage ich mich, sind die alten, ollen Köche geblieben? Prägten vor Kurzem noch die alten Säcke der gehobenen Zwiebelzubereitung das Blatt, ist es nun der junge, frische Kochnachwuchs, der zeigt, wie die Rübe gart.
Keine Ahnung, wie die das hinbekommen haben, das Blatt erscheint immerhin im Jahreszeiten Verlag, aber es ist richtig gut! Mit Sicherheit wird das keiner merken – schon gar nicht beim Verlag. Womit es versäumt werden wird, den überraschenden Anschluss an die Moderne zu kommunizieren.
Schade. Mit der Überlegung, wohl doch lieber zum Fernsehen zu gehen, zurück nach Berlin!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken