Kolumne Die Kriegsreporterin: Sommerloch? Mit Bartwolle stopfen!
Wer Hirn hat, darf noch lange nicht reden, aber eventuell zwitschern. Vielleicht muss man sich dafür auch einen Bart wachsen lassen.
H allo taz-Medienredaktion!
Sagt mal Leute, kann ich nicht mal für fünf Minuten das Land verlassen, ohne dass alles augenblicklich aus den Fugen gerät?
Ich brate hier beim Überwachungsfreund in sommerlicher Hitze, und an der Heimatfront weiß man nicht mehr, wo Springer aufhört und der Muslim anfängt. Ich habe – schließlich bin ich beruflich hier – anderes zu tun, als die Dinge zu Hause zu beobachten, aber ich muss schon sagen, was sich infolge der islamfeindlichen Äußerungen des stellvertretenden Chefredakteurs der Bild am Sonntag abspielt, das hat Wumms!
Kommt ja nicht so häufig vor, dass sich Teile einer Chefredaktion öffentlich von ihrem Kollegen distanzieren möchten. Wobei das Ganze ja vor allem schockt, weil alle mitreden. Die Sache wäre ja nicht halb so schön, wenn sich nicht jeder, der meint, ein Hirn in seiner Kopfkapsel zu tragen, nicht dazu äußern würde. Ein Lob dem digitalen Zwitscherdienst an dieser Stelle.
Und weil ich ja auch so gern mitrede, bedauere ich es natürlich, nicht einmal mein halbes Hirn diesem Thema widmen zu können. Wie gesagt, ich bin zum Arbeiten hier. Trotz der wenigen Zeit ist das taz-Cover von Dienstag auf meinem Rechner erschienen, Bartwusel Diekmann und die Zeile „Endlich Fatwa vom Chef: Der Islam gehört zur Bild“. Ich war augenblicklich hin und weg. Ein Jahrhundert-Cover!
Und ja, liebe taz-Medienredaktion, ich denke, diese erste Seite wird unter die drei meiner Alltime-Favourites der taz-Titel eingehen. Der ist SO, SO gut! Zumal im Zuge von 9/11 oft genug benannt wurde, woran man erkennt, dass auch in Deutschland sich immer mehr Männer auf den Dschihad vorbereiten: am langen Bart.
Und während Diekmann das Problem, das Springer sich in Jahrzehnten kontinuierlichen Publizierens und gezielter Personalauswahl geschaffen hat, wie eine Streubombe um die Ohren fliegt, sind wohl auch an anderer Stelle die Springer-Schläfer aktiviert worden.
Dienstag noch voller Liebe
Es wird doch kein Zufall sein, dass der Spiegel mit Bild-Mitteln zu arbeiten beginnt, nachdem heutzutage Bild-Leute so mir nichts, dir nichts bei dem, was mal ein Leitmedium war, anheuern können. Oder wie ist, außer „reißerisch“, „billig“, „populistisch“ und „geschmacklos“, der aktuelle Spiegel-Titel zu deuten, der die Opfer des Flugzeugabschusses über der Ukraine zeigt, mit der Zeile „STOPPT PUTIN JETZT!“?
Dabei war ich Dienstag noch so voller Liebe! Liebe zur New York Times. Denn während bei uns in der landesweit größten Zeitung die Angst vor dem, der anders ist, geschürt werden kann, loben die Kollegen das Fremde. In nur einer Ausgabe wurden gleich zwei Deutsche, derer man sich ausnahmsweise mal nicht zu schämen braucht, voll der Anerkennung vorgestellt: Friedrich Liechtenstein und Christoph Schlingensief.
Was mich gleich ein wenig versöhnlich gestimmt hat und weswegen ich es jetzt nur noch zu 98,2 Prozent schlimm finde, dass die Amerikaner alles überwachen. Witze über die NSA braucht man hier übrigens nicht zu machen. Nicht, weil die Amerikaner, mit denen ich so spreche, keinen Spaß verstehen, sondern weil die gar nicht wissen, was die NSA ist. Ja, so sind sie, die Amerikaner! Immer nach vorn orientiert und nicht so miesepetrig rückblickend wie wir Deutschen.
Und das mache ich jetzt auch, nach vorn blicken. Da sehe ich meinen Urlaub. Der ist zwei Wochen lang. Ich hoffe, Du kommst ohne mich klar, Medienredaktion. Ist ja eh Sommerloch. Das kannste ja mit Bartwolle stopfen. Die ist total tazig: nachwachsender Rohstoff.
Und damit zurück nach Berlin!
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