Kolumne Die Couchreporter: Endlich innerlich tot
Game of Thrones ist eine Rosskur gegen Empathie. Wie die HBO-Serie dabei helfen kann, die brutale Realität zu ertragen.
M ein Problem ist, dass ich keine Gewalt ertrage. Die Welt ist viel zu schlecht und brutal für mich, viel zu weit weg von meinem Ideal einer flauschfarbenen Kissenschlacht-Kuschelparty, in der man Streitereien durch Törtchenbacken löst. Die reale Welt halten nur echte Männer aus, emotionale Eisblöcke, bekennende Nullempathiker. Und so einer bin ich nicht. Noch nicht.
Denn ich arbeite dran. Ich härte mich ab, per Konfrontationstherapie. Ich gucke „Game of Thrones“. Das ist der Fantasy-Politthriller mit Drachen und Eiszombies, von dem gerade die sechste Staffel angelaufen ist.
Dahinter steht der US-amerikanische Bezahlsender HBO. Der stopft pro Staffel rund 50 Millionen Dollar in seinen spieltheoretischen Mittelaltermarkt. Um die wieder hereinzubekommen, hält die Serie ihre Fans mit Sex, Gewalt und sexueller Gewalt bei der Stange. Das ist bekannt, es ist die Marke der Serie. Schlitz, spritz, röchel. Das gehört einfach dazu.
„Igitt“, sagte eine Freundin, der ich die Serie empfohlen hatte. „In nur einer Folge sind ein Dutzend Menschen erstochen und drei Frauen misshandelt worden, warum guckst du dir so was an?“
Alles fühlt sich ganz taub an
Ich hatte keine Antwort. Ein bisschen habe ich mich sogar geschämt. Der schützende Bildschirm verhindert, dass ich fühle, was ich normalerweise empfinden würde. Gewaltfernsehen stumpft ab. Doch doch, das tut es! Immerhin ist das zufällig ein ganz prima Training für meinen Beruf.
Feinfühligkeit ist nämlich auch ein Problem beim Medienmachen. Wie soll man denn als Winselmemme den Tod, das Leid und den vielen überflüssigen Hass ertragen, der schon morgens beim ersten Grüntee über die Twitter-Timeline splattert? Es gibt zwei Möglichkeiten.
Variante eins: den Schmerz leben. Nicht erst seitdem Menschen auf der Flucht vor Armut und Verfolgung im Mittelmeer ertrinken, erscheint in regelmäßigen Abständen die Mahnung zu mehr Mitgefühl. Wir müssten uns vor der Abgebrühtheit bewahren, die durch die globale Bilderflut entsteht. Ich hab’s versucht. Hat nicht funktioniert. Wenn ich mitfühle, kann ich meinen Job nicht machen, kann ich noch nicht mal mehr meine Wohnung putzen. Ich bin gelähmt vom Leid fremder Menschen, die nichts davon haben, dass ich mit ihnen leide.
Deswegen mach ich’s jetzt anders. Variante zwei: Ich setze mich dem Schrecken von „Game of Thrones aus“, der übertrieben und viel zu nah ist. Ich verkrieche mich in meine Couchkissen, beiße die Zähne fest in die Kuscheldecke und lass schwitzend und wimmernd das ganze Kunstblut und die Spezialeffektgedärme durch mein System pumpen. Bis ich endlich innerlich tot bin und sich alles ganz taub anfühlt.
Erst Häuten, dann Kastration
So erreichen die schrecklichen Nachrichten aus der echten Welt zwar meine oberen Hautschichten, aber nicht mein Herz. Nach etwas mehr als fünf Staffeln Anti-Empathie-Kur ist kaum noch etwas in mir, das zu einer Regung fähig wäre. Was soll’s, ich bin gereinigt vom Mitleid, diesem Laster, das schon den alten Griechen und den Aufklärern ein Gräuel war.
Folter in Ägypten, Mexiko und Guantánamo? Okay, zur Kenntnis genommen. Juckt mich nicht, immerhin habe ich mir eben noch reingezogen, wie jemandem am Andreaskreuz die Haut abgeschält und der Penis abgeschnitten wurde. Babys werden in Idomeni in Schlammpfützen gewaschen? Bei „Game of Thrones“ werden Neugeborene von Hunden gefressen oder sie werden im Wald ausgesetzt, wo sie die Eiszombies holen. Noch was? Vergewaltigung? Ach komm, neulich wurde die Königinmutter von ihrem Zwillingsbruder auf dem Sarg ihres Sohnes zum Sex gezwungen. Normal.
Allein, ganz am Ziel bin ich noch nicht. Erst kürzlich ist in meinem erweiterten Umfeld ein Hase gestorben. Da habe ich etwas gefühlt. Das ist leider inakzeptabel. Ich hoffe also, dass „Game of Thrones“ um eine weitere, siebte Staffel verlängert wird
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