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Kolumne Die ChartsIst Sex mit Peter Maffay möglich?

Die Charts: Kern hatte noch drei Lebensziele. Ökostrom. Eine Textzeile klären. Und es zur Musik von Maffay treiben.

marco limberg

Peter Unfried ist stellvertretender Chefredakteur der taz.

Kern gehörte zu der Sorte Journalisten, die bei der Arbeit Jackett zu Jeans trug, Volvo fuhr und deren Gesicht sich automatisch zu einer Lächelmaske verformte, wenn sie networkten. Also ständig. Bis 1. April 2009 wollte Kern bei der Zeit sein. Spätestens. Aber Springer war für den auch nur ein potenzieller Arbeitgeber. Für unsereins schwer zu verstehen, aber die Jungen sind heute einfach so, dachte Mies angeekelt.

Was ihn selbst betraf, so war er stellvertretender Ressortleiter eines Zweimannressorts und hatte im letzten Jahr drei Dinge erledigen wollen. Eigentlich. Erstens: zu Ökostrom wechseln. Zweitens: herausfinden, wie eine Textzeile in "We Built This City" richtig lautete, statt der er seit zwanzig Jahren provisorisch "My cody place, semamba" mitsang. Den Ökostrom hatte er Ende Dezember noch erledigt. Die Textzeile lief ihm nicht weg.

Aber da war noch etwas Drittes liegen geblieben. Und so kam es, dass er an einem normaltrüben Januartag bei dieser wirklich großartigen Frau anfragte, ob man es nicht eben mal zur Musik von Peter Maffay treiben sollte.

Diesen Vorsatz schleppte er schon länger mit sich rum. Im Unterbewusstsein vermutlich sogar seit 1979. Damals hatte er ein im Prinzip sehr positiv verlaufendes Knutschen abgebrochen und das Jugendzimmer von C. Schmidt verlassen, nachdem in ihrem Kassettenrekorder plötzlich "Liebling, wach auf" gelaufen war. Ein kurzes Rumgeschreie hatte ergeben, dass C. Schmidt nicht nur dieses Stück von Peter Maffay liebte, sondern das ganze Album "Steppenwolf" besaß. Man muss das nicht mal in seinem historisch-kulturellen Gesamtzusammenhang sehen, um zu verstehen, dass so etwas nicht ging. Mies sah sie nie wieder. Beziehungsweise, er sah sie ständig, aber es lief selbstverständlich nichts mehr.

Er konnte sich nicht erinnern, wann das dann anfing, dass er darüber nachdachte. Auf jeden Fall verstärkt nach 1998. Man war insgesamt weiter und auch ideologisch viel toleranter. Er ahnte längst, dass die Sache etwas haben könnte, was ein normaler Geschlechtsverkehr einfach nicht mehr brachte. So einen Kitzel. Er hatte vorsichtshalber noch ein paar Jahre abgewartet. Inzwischen fürchtete er sich richtig davor, eines Tages zu sterben, ohne die Maffaysache ausprobiert zu haben.

Einmal saß er mit dem Ressortleiter im üblichen Lokal in Berlin-Mitte, und sie sprachen darüber. Er sprach darüber.

"Es muss doch im Jahr 2008 möglich sein, dass man unter aufgeklärten Menschen auch mal fünfe grade sein lässt und es zur Musik von Peter Maffay treibt. Verdammt aber auch."

Er verstand sein eigenes Wort kaum, weil am Nebentisch ein Senior über seine offenbar aufregende Zeit in Princeton quakte. Aber Kern hatte eh am anderen Ende der Schänke einen Fernsehjournalisten erspäht und stand wortlos auf, um diesen unter einem Vorwand in ein Gespräch zu verwickeln. Man wusste ja nie, ob der mal Spiegel-Chef würde. Hätte er die Maffaysache nur damals durchgezogen, dachte Mies seufzend. Dann wäre es erledigt.

Er scannte inzwischen jede Party, jeden Termin, die Kolleginnen sowieso, inzwischen sogar vereinzelt die Kollegen. Nur vor den Kneipenbedienungen schreckte er zurück. Noch.

Das ärmste Schwein ist ein Mann, der eine Bedienung anbaggern muss. Das hatte sein Vater ihm eingeschärft. Es war der einzige Spruch des verbohrten, alten Achtundsechzigers, an den er sich erinnerte, und deshalb hielt er sich dran. Ein bisschen Pietät war auch dabei.

Als Mies dann diese Frau ansprach, war er einerseits schon ziemlich verzweifelt. Andererseits schien sie ihm plötzlich kinky genug, und so dachte er einen Moment tatsächlich, dass sie drauf stehen würde. Als sie nach ihrem BH griff, wusste er, dass er sich verkalkuliert hatte.

"Wieso ziehst du dich wieder an, Hase?"

"Weil ich es nicht zur Musik von Peter Maffay mache, du Irrer." Dann ging sie.

"Und wenn du gehst, dann geht nur ein Teil von dir", dachte er, "und der andre bleibt bei mir." Er sah sie nie wieder. Und das nach 21 Ehejahren.

Fragen zu Peter? kolumne@taz.de Morgen: Adrienne Woltersdorf OVERSEAS

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