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Kolumne Der rote FadenPremiummänner in Sorge

Ines Kappert
Kolumne
von Ines Kappert

Durch die Woche gesurft: Die Pille danach, Mindestlohn und Rente sowie Männerfantasien auf der Berlinale: Top Girl von Tatjana Turanskyj.

Und der Arzt passt auf, dass da nichts Falsches passiert. Bild: Paul Langrock/Agentur Zenit

J eder bekommt sie in der Apotheke oder in einem Gesundheitszentrum“, so heißt es auf englischsprachigen Webseiten. Jeder in Großbritannien, Frankreich, Griechenland – der Vollständigkeit halber müssten nun noch 24 weitere Länder aufgezählt werden. Nur in Deutschland, Polen und Italien ist das anders. In Italien, Polen, Deutschland bekommt man, also meist frau, die „Pille danach“ nicht einfach im Tausch gegen Geld über die Ladentheke gereicht.

In diesen Ländern, mithin hierzulande, wollen Ärzte das von der Weltgesundheitsorganisation seit Jahren als effektiv und unbedenklich eingestufte Medikament eigens verschreiben und machen gerne ihren Schnitt am Umstand, dass Frau und Mann zur Unzeit unvorsichtig waren. Im Überbau, so sagen sie, wollten sie sicherstellen– und so hat es auch der christliche Gesundheitsminister Hermann Gröhe formuliert –, dass die Frauen beraten werden. Die Frauen.

Damit sie verstehen, warum das, was geschehen ist, überhaupt passiert ist. Damit es sich nicht wiederhole. Er wolle dafür sorgen, dass sexuelle Selbstbestimmung und Frauengesundheit „bestmöglich“ zusammenkämen. Bestmöglich – Feuer und Wasser vertragen sich halt nicht so gut.

Der unzweifelhaft beteiligte Mann führt indessen sein Schattendasein weiter. Niemand erwägt eine Paarberatungpflicht im Falle von ungeschütztem Sex. Dem Herrn sei’s gedankt – wer will schon zwanghaft sein?

Frauen eine Beratung aufzuzwingen, ist ein erkleckliches Geschäft, die finanzielle und moralische Dividende stimmt, und zwar jeweils. Der Arzt muss nicht mehr wissen, als jeder per Suchmaschine in wenigen Minuten in Erfahrung bringen kann, und kann sich doch als moralische Instanz aufwerten. Also lehnt die Ärztekammer, allen voran Frank Ulrich Montgomery, standhaft die Angleichung an internationale medizinische Standards ab.

Die Entscheidermeute

Der Politik ist das recht, eine Pause in den doch recht trockenen Diskussionen über Mindestlohn und Rente tut gut. Wenn man in der Öffentlichkeit nicht über harte Politik, also Verteilungsfragen, gar Umverteilungsfragen reden mag, dann lässt es sich saftig über Frauengesundheit streiten.

Also fühlt sich die Entscheidermeute wohl in der zwangsberatenden Phalanx mit Polen und Italien. Die Opposition verkündet, aus der Reihe tanzen zu wollen, die SPD ist angeblich gespalten. Karl Lauterbach ist entschieden für die Freigabe und erhebt die Stimme zugunsten des emanzipierten Denkens. Das alles wird nicht reichen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Gröhe seine Position verändern und seine Idee von weiblicher Sexualität und ihrer Erziehung revidieren muss. Der Backlash angesichts so vieler Frauen, die inzwischen mitreden und Spaß haben wie Männer, ist vielerorts spürbar. Das Betreuungsgeld war nur die Vorhut.

Umso wichtiger werden mal wieder die Nischen. So nahm sich diese Woche ein sehr sehenswerter Film landläufiger Erotik zwischen Männern und Frauen auf ganz andere Weise an – es ist Berlinale in Berlin. „Top Girls“ von Tatjana Turanskyj verbindet das Nachdenken über prekäre und/oder entmündigende Arbeitsverhältnisse mit dem über Selbstbestimmung und Prostitution.

Die Kunden haben das Sagen, und die Prostituierte wird zur Darstellerin in den von ihnen entworfenen Szenarien. Nichts daran ist kriminell, doch die Lust an der Entwürdigung der Sexpartnerin kann dem Zuschauer leicht die Brust zuschnüren. Wie befreiend ist es dann, dass die Kamera dieser Logik nicht folgt, sondern konsequent den Männerkörper entblößt und in seiner Banalität und Verletzbarkeit zeigt, ohne ihn darüber zu entwürdigen. Die Frauen bleiben mal mehr, mal weniger angezogen.

Gleichberechtigung ist nicht gleich Emanzipation

Am Ende hat die von Julia Hummer beeindruckend zart und angreifbar gespielte Hauptdarstellerin den Aufstieg zur Geschichtenerzählerin geschafft. Sie inszeniert nun die Entwürdigung ihrer Kolleginnen und streicht dafür das Honorar ein. Gleichberechtigung ist eben nicht gleich Emanzipation.

Darauf verweist die Regisseurin im anschließenden Gespräch gleich öfter, worin das in Frauenbewegung und Postfeminismus erarbeitete und durchgearbeitete Wissen mühelos einfließt und das zeigt, was sich alles bedenken lässt, ohne die Lust zu zerstören, weder am Filmemachen noch an erotischen Fantasien.

Und es zeigt, wie ganz und gar unbeleckt die von Gröhe und Montgomery verteidigte Premiumkultur von solchen Suchbewegungen der Andersdenkenden ist. Von denen, die Konflikte kollektiv und auf Augenhöhe lösen wollen, indem sie andere Perspektiven ausprobieren, indem sie Fantasien nicht verbieten, sondern ausloten und sich dem Abgründigen stellen.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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8 Kommentare

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  • O
    Onjo

    Der Artikel erweckt den Eindruck, die "Pille danach" könne mit ähnlicher Sorglosigkeit zu sich genommen werden wie eine Kopfschmerztablette. Als ob das nicht schon reichen würde wird dann auch noch eine Ungerechtigkeit konstruiert: Die Männer müssen sich ja auch nicht beraten lassen!

    Ich finde, hier wird viel zu wenig differenziert, vielmehr werden höchst zweifelhafte Zusammenhänge hergestellt:

    Die "Pille danach" ist ein Medikament, dass wirklich mit bedacht zu sich ghenommen werden sollte. Ich bin froh, dass sowas nicht in jedem Badezimmerschrank rumfliegt und die Pflicht besteht die Konsumentin darüber aufzukären, was die Einnahme für Ihren Körper bedeutet. Inwieweit der Sexualpartner dabei involviert wird, ist meiner Ansicht nach Sache der Frau.

  • Allerorten wird beklagt, dass Ärzte keine Zeit für Beratung und Gespräche mit PatientInnen haben. Die Krankenkassen finanzieren hauptsächlich Gerätemedizin und die Verabreichung von Chemikalien. Hier ist es umgekehrt. Und eine Schwangerschaft ist keine Krankheit, die man schnell mit ein paar Pillen beseitigen kann. So oder so bleiben Emotionale spuren. Die Beratung als unangenehme Pflicht abzulehnen, heißt umgekehrt auch den Frauen oder Paaren das Recht auf eine von der Krankenkasse finanzierte Beratung zu nehmen.

     

    Und wohin würde eine Paarberatungspflicht führen?! Was soll die Frau tun, wenn es ein One-Night-Stand war, eine Wochenendbeziehung oder der Mann aus anderen Gründen nicht mitkommen kann oder mag. Kein Partner - keine Beratung - keine Pille?

    • A
      Arne
      @Sonnenblumen:

      Tja, dann spricht aber wohl nix gegen, die Pille auch rezeptfrei zu verkaufen.

      "Paarberatungspflicht" muss nicht sein. Die Frau muss sich nur frei entscheiden können, ob sie mit dem Grund für die Schwangerschaft zu einer Beratung gehen kann oder nicht. Da reicht es also aus, ggf. den Mann gesetzlich zu verpflichten, dass er das auf Wunsch der Frau machen muss.

       

      Damit eine Frau, sofern sie das möchte, eine Beratung in Anspruch nehmen kann, muss dann nur gesetzlich geregelt sein, dass eine Frau jederzeit auch ohne Krankenschein einen entsprechend ausgebildeten Arzt aufsuchen darf, wenn sie Beratung wünscht über die Pille danach. Herr Gröhe muss also sicherstellen, dass ausreichend ausgebildete Ärzte der Frau in einem angemessenen Zeitrahmen zur Verfügung stehen.

       

      Dann muss nur noch geklärt werden, dass die Pille kostenlos abgegeben werden muss, damit Frauen ohne ausreichend Geld nicht benachteiligt sind und schon wären sowohl die Selbstbestimmungsrechte der Frau gewährleistet wie auch Ihre Bedenken gegenstandslos.

       

      Um das umzusetzen, müsste aber so ein Typ wie Gröhe mal was arbeiten, nämlich ein paar Gesetze machen und evtl. auch mal nach der Versorgung mit entsprechenden Ärzten schauen. Das wollen wir einem Politiker, der schon darauf wartet, dass er endlich bald einen Posten bei der Pharmaindustrie hat dann doch nicht zumuten, oder?

    • O
      Onjo
      @Sonnenblumen:

      Ganz genau! Es geht mitnichten um "sexuelle Erziehung" der Frauen, sondern um medizinische Verantwortung.

    • AS
      alte Schachtel
      @Sonnenblumen:

      Erstens kann die Pille danach keine Schwangerschaft abbrechen, sondern lediglich verhindern, dass man schwanger wird.

       

      Zweitens hinterlässt ein Beratungsgespräch á la "haste wohl mal wieder nicht aufgepasst, du kleine Schlampe?" auch emotionale Spuren.

       

      Drittens stört es die Herren ja auch nicht, wenn wir uns ein halbes Leben lang mit Hormonen (yay, Brustkrebs!) zustopfen, damit sie keine unbequemen Gummitütchen benutzen oder sich sonstwie Gedanken um ein ungewolltes Kind machen müssen.

       

      Und wenn dann der Typ auch noch "keinen Bock" hat, die Frau, die er zumindest genug mochte um mit ihr ins Bett zu gehen bei einem peinlichen Gespräch (für das er mindestens genauso verantwortlich ist) zu begleiten, dann spricht das meiner Meinung nach umso mehr gegen die Zwangsberatung.

      • G
        Gast
        @alte Schachtel:

        Warum soll der Mann mit zu dem Beratungsgespräch? Okay natürlich hatten sie gemeinsam sex, aber wenn ne frau ihr kind abtreibt, kann der mann auch kein veto einlegen, also warum sollte er zu ner beratung, wenn er am ende keine endscheidung what so ever treffen kann?

        Wo keine Entscheidung möglich, da keine Beratung nötig

    • G
      Gast
      @Sonnenblumen:

      die pille danach bricht keine Schwangerschaft ab, sondern verhindert sie, deshalb ist der Satz ... "eine Schwangerschaft ist keine Krankheit, die man schnell mit ein paar Pillen beseiteigen kann" ziemlich sinnfrei

  • G
    Gast

    Leider findet sich in dem ganzen Artikel, der ja sehr gut geschrieben ist, kein einziges Argument für oder gegen die "Pille danach". Den internationalen Vergleich und die WHO heran holen, wenn es gerade passt, ist doch Blödsinn. Belgiens Sterbehilfe und Europas Reisefreiheit entsprechen auch nicht dem internationalen Standard. Mit Prostitution hat die ganze Thematik auch nur am Rand zu tun. Den Film habe ich leider noch nicht gesehen. Die entscheidenden Fragen sind doch:

    Ist die "Pille danach" wirklich ein emanzipatorisches Instrument?

    Hilft der uneingeschränkte Zugang zur "Pille danach" wirklich dabei das ungleiche gesellschaftliche und persönliche Verhältnis zwischen Männern und Frauen auszugleichen?

    Gibt es medizinische und ethische Einwände gegen die massenhafte Verbreitung der "Pille danach" und wenn ja, wie lassen sich diese entkräften?

    Wollen wir in einer Welt leben, in der die Zeugung von Kindern (und damit auch Sex) zu einem Konsumverhältnis banalisiert wird?

    Und zu guter letzt: Ist es so verkehrt an die Eigenverantwortung der Sexualpartner (in diesem Fall Mann und Frau) zu appellieren, bzw. ist es gut die Möglichkeit zu schaffen, "ungeschützten" Geschlechtsverkehr im Nachhinein als "geschützt" zu deklarieren?