Kolumne Der rote Faden: Humanitäre Fähren für Europa
Die EU-Chefs werden einen Teufel für die ertrinkenden Flüchtlinge tun. Sie wollen wiedergewählt werden und die Rechten sitzen ihnen im Nacken.
O b im Staatsfernsehen oder in der bürgerlichen Presse, selbst in der Bild-Zeitung war man sich einig, dass 1.200 Ertrunkene kein Petitesse mehr seien, dass man helfen müsse.
Eilig wurde eine Sondersitzung in Brüssel anberaumt – und die EU-Staats- und Regierungschefs entschieden anders: Sie stocken den Etat der EU-Grenzschutzagentur auf 9 Millionen Euro pro Monat auf und wollen gegen Schlepper in Libyen intervenieren. Militärisch. Ein neues Programm zur Seenotrettung wird es nicht geben, auch über eine neue, gemeinsame europäische Migrations- und Visapolitik muss noch weiter „beraten“ werden. Also wird auch in diesem Punkt nichts passieren.
Wer gehofft hatte, dass die breite öffentliche Empörung ein Umdenken einleiten würde, hat vergessen, dass die Konservativen einen Teufel für Flüchtlingen tun werden, wo ihnen die Rechten zu Hause doch so massiv zusetzen. In Großbritannien etwasind am 7. Mai Wahlen – und die rechteUKIP ist im Aufwind.
Weshalb das ehemalige Einwanderungsland selbst aus Syrien gerade einmal ganze 143 Menschen aufgenommen hat. Und Premier David Cameron auf dem Flüchtlingsgipfel sagte: „Wir sind mit unseren Schiffen dabei, und wir werden die Menschen im nächsten sicheren Hafen absetzen, und zwar in Italien. Aber diese Menschen werden bei uns keine Möglichkeit haben, Asyl zu bekommen.“ Bravo.
Fähren an Lybiens Küste
Auch die Bundesrepublik wird Schiffe der Marine schicken. Aber auch sie will kein Geld für humanitäre Fähren ausgeben oder das Visasystem ändern. Nur das aber würde die Menschen retten: Die Möglichkeit, auf hochseetauglichen Fähren nach Europa zu kommen, um dort einen Asylantrag zu stellen, der tatsächlich darauf geprüft wird, ob es sich um besonders schutzbedürftige Menschen handelt oder nicht. Und nicht abgelehnt wird, weil das „Kontingent schon voll“ ist. Humanitäre Fähren kämen auch billiger als die punktuellen Rettungsaktionen von Frontex. Aber sie schrecken nicht ab. Weshalb sie für die gegenwärtigen Politik-Chefs keine Option darstellen.
Als der Chef von Frontex, Klaus Rösler, diese Woche aus Warschau anreiste, um Berliner SchülerInnen über die Arbeit der Agentur aufzuklären, stellte er schmallippig fest, er sehe nicht ein, warum ausgerechnet seine Agentur vor der Küste Libyens Menschen aus dem Wasser fischen sollte. Das sollten wenn, doch bitte andere tun. Denn sein Auftrag lautet, Grenzen zu schützen, nicht Menschen zu retten. Frontex berät die EU-Regierungen in Sachen EU-Außengrenzen. Er fügte hinzu: So nah an die Libysche Küste zu fahren, wäre auch zu gefährlich.
Doch auf dem Höhepunkt der Kämpfe in Libyen 2011 wurden mit humanitären Fähren tausende gestrandete Menschen von Misrata bis Bengazi gerettet. Obwohl die Schiffe mit Granaten beschossen wurden und Seeminen ausweichen mussten. Damals gab es den politischen Willen. Gegenwärtig fehlt er. Den Preis für den massiven Rechtsruck in Europa bezahlen die Menschen, die wissen, dass die Chance, die Passage nach Europa zu überleben, klein ist. Und doch gehen sie das Risiko ein, dennsie haben keine Wahl.
Solidarisch legten sich hunderte Menschen unter Leinentücher in Einkaufszonen und auch vors Kanzleramt. Umsonst.
Vor allem Frauen helfen Flüchtlingen
Aber noch ist die Messe nicht gelesen. Denn es gibt mehr und mehr Initiativen, um Menschen ohne Rückkehroption zu helfen. ForscherInnen der Humboldt-Universität Berlin und der Universität in Oxford haben rund 460 Ehrenamtliche und über 70 Organisationen in der Flüchtlingsarbeit online befragt. Das ergibt noch keine repräsentative Umfrage, aber die unter dem Titel „Institute für empirische Integrations- und Migrationsforschung“ (BIM) lässt Rückschlüsse darauf zu, dass offenbar das Leid in Syrien zu mehr Engagement geführt hat. Und wer hilft?
In Deutschland sind das vor allem gebildete Frauen zwischen 20 und 30, die vorzugsweise in Städten leben. „74 Prozent der Befragten gaben als Motiv für ihr Engagement an, die Gesellschaft gestalten zu wollen. Nur 3,5 Prozent sagten, sie versprächen sich davon berufliche Vorteile. Das ist laut der Studie ein viel niedrigerer Anteil als bei Freiwilligen in anderen Bereichen“, schreibt der Spiegel.
Wenn jetzt Bundespräsident Gauck in der Flüchtlingsfrage so viel Mut zeigte, wie diese Woche bei seiner Rede zum Völkermord an den Armeniern; wenn er klarstellte, dass nicht die Schlepper das zentrale Problem sind, sondern die westliche Visapolitik samt der Aufrüstung der EU-Außengrenzen; wenn er auch klarstellte, dass Migration für die reichen Länder kein ökonomisches Problem, sondern vielmehr eine ökonomische Chance ist – dann würden sich zu den Helferinnen noch viele andere gesellen. Ob sein Christenmut soweit reicht?
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