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Kolumne DazwischenDem Windhund so nah

Jahresende, alles Ende, die Zukunft düster - und dann brach auch noch das C ab.

A ls ich letzte Woche meinen Job gekündigt habe, bin ich erst mal in ein Loch gefallen, unabsichtlich. Ich war eigentlich sehr erleichtert, aber dann kam das Loch, alles wurde schwarz und anstrengend, es war der Horror, und dann war auch noch Nieselregen.

Außerdem wurde in unserer Landkommune gerade diskutiert, ob es okay ist, dass ich Kolumnen über die Kommune und das Dorf schreibe. Manche hatten Angst, dass ich die Dorfbewohner beleidige oder zu intimes Zeug veröffentliche. Kann passieren, klar.

Zwischendurch sah es so aus, als würden sie komplett gegen die Texte abstimmen. Mir wurde ganz schlecht. Dann brach die N-Taste aus meiner Tastatur, und am nächsten Tag knickte auch das C ab. Ich hatte das Gefühl, dass alle meine Arbeitsgrundlagen zerfallen. Am Arsch. Jahresende, alles Ende, die Zukunft düster.

Bild: privat
MARGARETE STOKOWSKI

ist Autorin der taz.

Dann kam ein Morgen, an dem ich mit meinem Freund im Bett lag, draußen regnete es. Er wollte Sex, ich fand es viel zu früh dafür. Deswegen fragte ich, ob wir nicht nebenbei was spielen können. "Können wir Stadt-Land-Fluss spielen, während du mich fickst, dann ist mir nicht so langweilig?" Ich fing an, A, er musste "Stopp" sagen. Wer jeweils zuerst alle Wörter zusammenhatte, rief "Schluss". Ich gewann haushoch, er hatte einen Orgasmus.

Abends waren wir dann auf einem Geburtstag in einer einfachen, netten Kneipe. Alle saßen rum, rauchten und tranken, manche tanzten. Weil wir spät kamen, setzten wir uns ganz hinten hin, da, wo man durchmuss, wenn man zum Klo will. Es blieb eine kleine Lücke frei, dahinter war ein schmaler Gang zu den Toiletten.

Als ich zur Bar ging, nahm ich Streichhölzer vom Tresen mit, auf der Schachtel war ein Reh mit roten Stiefeln. Ich bestellte zwei Bier und sah neben mir einen großen weißen Windhund mit langem Fell und superschmaler Schnauze.

Als ich zurückging, folgte mir der Hund. Er blieb neben unserem Tisch stehen und schaute zögerlich auf die Lücke, die zum Klogang führte. Sein Kopf hing herab, sein Blick war so mutlos und träge, als wenn alles beschissene Leid der Welt auf seinen schmalen Hundeschultern lastete. Er traute sich nicht durch zum Gang. Armer Hund, dachte ich, wollte seinen Kopf streicheln, aber er wich mir aus. Ich schob den Tisch zur Seite, er schnüffelte, dann ging er langsam durch. Er schwang dabei mit seinem Schwanz über den Tisch und löschte mit einem Wisch alle vier Teelichter, die da brannten. Dann legte er sich ans Ende vom Klogang und sah aus wie tot.

Auf dem Nachhauseweg holte ich die Streichholzschachtel aus meiner Jackentasche. Ich schaute das weiße Reh mit den roten Stiefeln an und stellte fest: Das war gar kein Reh. Das war der Windhund, der gehört offenbar zur Kneipe, er ist da so was wie das Maskottchen. Und sie malen ihm rote Stiefel an und kleben ihn auf Streichholzschachteln. Oh Gott. Eine tiefe Traurigkeit ergriff mich. Ich fühlte mich dem Windhund so nah. Trotzdem hoffte ich, dass ich am Ende des dunklen Ganges, wenn ich wieder einen Job kriege und der Frühling kommt und so, nicht tot vor einem Kneipenklo liegen werde. Bitte nicht. Aber so hübsche rote Stiefel hätte ich auch gerne.

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Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff

10 Kommentare

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  • MV
    Matthias Vernaldi

    Dieser Text ist ein Juwel: witzig, eigen artig, sarkastisch, trotzdem unbitter - ja sogar süß!

    taz-Leser rekrutieren sich aber offenbar zu erheblichem Anteil aus Leuten, die ohne pc-Brille nicht mehr lesen können. Schade für sie. Anstatt sich am Funkeln eines solchen Brillanten zu erfreuen, ritzen sie sich an seinem scharfen Schliff die Netzhaut.

  • MV
    Matthias Vernaldi

    Dieser Text ist ein Juwel: witzig, eigen artig, sarkastisch, trotzdem unbitter - ja sogar süß!

    taz-Leser rekrutieren sich aber offenbar zu erheblichem Anteil aus Leuten, die ohne pc-Brille nicht mehr lesen können. Schade für sie. Anstatt sich am Funkeln eines solchen Brillanten zu erfreuen, ritzen sie sich an seinem scharfen Schliff die Netzhaut.

  • S
    SebastianB

    Ich glaube ja, dass die Schreiberin eigentlich ganz cool ist.

  • CM
    Call me SexGoettin

    Grottenschlechte Liebhaber können erleichtert aufatmen. Wir waren schon mal weiter.

  • V
    Voyeur

    @JohnnyD

    Hätten Sie Spaß an echtem Sex oder überhaupt schon mal welchen gehabt mit einer Frau, die scharf auf Sie ist, wüßten Sie was an dem Text beklagenswert ist.

  • H
    haha

    Also jetzt mal ehrlich, kritisieren kann man diesen Text doch nur, wenn man über ihn nicht nachgedacht hat. Und selbst, wenn man den Text kritisiert, so halte ich doch eine Kritik an der Person die ihn schrieb für noch fragwürdiger. Man kann doch nun wirklich nicht nach dem Lesen eines Schreibens einer Person sich das Recht rausnehmen über diese zu urteilen. Das kommt mir zu Platt vor.

    Meiner Meinung nach ist das eine großartige Geschichte, weil man eigentlich spührt, dass es um viel mehr ging als um Hunde, Sex und Stadt, Land, Fluss. Ein schön ehrlicher Text, der ein Gefühl von vielen beschreibt, die das Leben mit sich bringt. Warum sollte man eigentlich immer nur von Friede Freude Eierkuchen oder Naturkatastrophen schreiben.

  • DO
    Darkness of Soul

    Die Zeiten der zahlreichen Nachmittags-Selbstdemütigungs-Talkshows sind glücklicherweise vorbei.

     

    Für die eine oder den anderen mag das bitter sein. Irgendwie meine ich, eine gewisse Sehnsucht nach einem Auftritt in einem derartigen Format bei der Autorin dieses Beitrags zu erkennen...

     

    In Folge hatten die - größtenteils vermutlich ausgesprochen befremdeten - taz-Leser das (zweifelhafte) Vergnügen, in die verstörenden und beklagenswerten seelischen Abgründe der Margarete S. zu blicken. Erschreckend!

     

    Ich hoffe, die Publikation dieses Textes hat der Autorin wenigstens eine gewisse exhibitionistische Befriedigung eingebracht.

  • J
    JohnnyD

    Warum kommentiert man eigentlich eine Kolummne?

    Ist es weil man keinen Sex hat und trotzdem nie bei Stadt, Land, Fluß gewinnt oder ist es weil man unter Minderwertigkeitskomplexen leidet seit selbst die Menschen in Polen Bananen kaufen dürfen und man beim Versuch so zu tun als würde man eine Fremdsprache beherrschen jämmerlich krepiert?

    Also ich hab einfach zuviel Zeit.

  • A
    achweh

    achweh und öh....nochmehrweh. Chapeau, Sie sind der reine Masotitan, Frollein Margarete.

     

    Selbstwert? Hammwa nich, krieg'n wer auch nich mehr rein.

     

    Früher gabs bloß keine Bananen. War irgendwie besser, früher.

  • Z
    Zappenduster

    Um sich klaglos wie ne Gummipuppe vögeln zu lassen und das auch noch einer breiten Leserschaft als bittersüße Groteske zu verkaufen, muss frau in der Tat richtig auf den Hund gekommen sein. Frau Stokowski, ich bemitleide Sie aufrichtig. Und irgendwie auch mich, die ich von dieser pseudolustigen Selbsterniedrigung lesen musste. Aua.