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Kolumne Das TuchKeine Widerrede!

Kübra Gümüsay
Kolumne
von Kübra Gümüsay

Was in Kairo für all den Müll und Gestank und Stau entschädigt.

W ir sind in Kairo auf der Suche nach einem Buch. Man gibt uns Wegbeschreibungen, keine ist richtig. Wir laufen hin und her. Es ist heiß, die Sonne knallt und ich bin genervt. Wir treffen schließlich auf Ahmed, einen jungen ägyptischen Geschäftsmann. Er will uns helfen und führt uns in eine Buchhandlung in der Nähe. Ohne Erfolg, das Buch gibt es dort nicht. "Aber vielleicht in einer anderen Buchhandlung", sagt der Verkäufer und beschreibt Ahmed den Weg.

"Ich fahre euch", sagt Ahmed. Keine Widerrede. Schnell räumt er die Kindersitze in seinem Wagen weg, bittet uns hinein und fährt los. Auf der Fahrt erzählt er uns von seinem Familienunternehmen, wie sie unter der Revolution gelitten haben und dass es das aber wert gewesen sei. Er sei glücklich mit dem, was er habe.

Eine Stunde später stehen wir mit dem gesuchten Buch an der Kasse. Als wir zahlen wollen, erklärt Ahmed uns, das Buch sei schon bezahlt. Keine Widerrede. Und nach Hause fahren will er uns auch. Keine Widerrede. Als er später nach einer herzlichen Verabschiedung davonfährt, hinterlässt er bei mir mehr als nur ein Buch.

Bild: privat
KÜBRA GÜMÜSAY

kommt aus Hamburg, lebt derzeit in Kairo und betreibt das Blog Ein Fremdwörterbuch.

Einige Tage später sitzen wir in einem klappernden Taxi. Es riecht stark nach Benzin, ich muss mir die Nase zuhalten, atme vorsichtig. Es ruckelt, es wackelt. Ich sitze angewidert auf den alten Sitzen und versuche mich nirgends anzulehnen. Dann sehe ich das Gesicht des Fahrers im Rückspiegel: alt und gezeichnet. Er guckt mich besorgt an. Schnell drehe ich mich zum Fenster und versuche unauffällig durch den Mund zu atmen.

Als wir auf einer Schnellstraße an einem Wagen vorbeifahren, der am Straßenrand steht, hält unser Fahrer an und fährt vorsichtig rückwärts. "Was ist los? Kann ich helfen?", fragt er den Fahrer des gestrandeten Wagens. "Nein, danke", er warte auf Benzin. Unser Fahrer nickt und fährt weiter. Nach dem Aussteigen hole ich erst mal tief Luft.

Wir erholen uns in der Sultan-Hasan-Moschee, vor über 700 Jahren erbaut und noch immer hervorragend erhalten. Neben uns sitzt ein Mann und macht sich Notizen. Wir kommen ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass Dr. Osama ein bekannter Architekt ist, früher beauftragt mit der Aufsicht sämtlicher religiöser Stätten in Ägypten, heute schreibt er ein Buch über die Architektur dieser Moschee. Er legt seine Arbeit zur Seite und weiht uns in ihre Geheimnisse ein. Als wir uns aufmachen wollen, besteht er darauf, uns zu fahren. Keine Widerrede.

Sein Wagen ist alt, staubig, die Scheibe zersprungen. "Relikt der Revolution", kommentiert er. An diesem Tag begleitet uns Dr. Osama mehrere Stunden durch Kairo, fährt mit uns einkaufen und essen, zeigt uns besondere Architektur, bevor er uns am Abend zuhause absetzt. Keine Widerrede.

Mich ärgern Müll und Gestank, Stau und schlechte Luft in dieser Stadt. Noch mehr aber ärgere ich mich darüber, wie blind ich doch immer wieder für das Schöne bin. Herzlichkeit und Bescheidenheit, Glück und Gastfreundschaft – an alldem mangelt es nicht in diesem Land.

Und wieder stehe ich vor meiner Haustür. Mit mehr als nur meinem Einkauf.

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Kübra Gümüsay
Jahrgang 1988. Autorin des Bestsellers "Sprache und Sein" (Hanser Berlin, 2020). Bis 2013 Kolumnistin der Taz. Schreibt über Sprache, Diskurskultur, Feminismus und Antirassismus.
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10 Kommentare

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  • VT
    von @Miaowara Tomokato

    Schön "nicht geantwortet". Passt. Hauptsache ignorant bleiben. Aber vielleicht haben Sie es auch einfach nicht verstanden?

  • S
    sweet

    @03.09.2011 09:56 Uhr

     

    von Miaowara Tomokato:Danke, super beschrieben !!!

    Also ,ganz speziell für Frau Heuchlerin :In Rom wie die Römer!

    Alle Esse von Fr.Gümüsay wundert mich von einseitiges Position : der West muss ohne ABER die pro-islamisches KulturVorstellungen nicht nur akzeptieren, sogar annehmen !!! ...so oberflächlich und naiv schreibt Fr. Kübra...

  • MT
    Miaowara Tomokato

    Ich frage mich allerdings, wo, ausser in Wagenburgen, "auf den Wohnzimmerteppich urinieren" weitgehend akzeptierte Praxis ist? Wenn sie es wissen, können sie es ja gerne dort tun, aber eben nur dort und bitte nicht meckern, dass sie es anderswo nicht dürfen.

  • MT
    @Miaowara Tomokato

    Ob sie herzlich bleiben würden, wenn ich ihnen auf den Wohnzimmerteppich urinieren würde? Lassen sie mal die Kirche im Dorf.

     

    Der Nichtmuslim frönt ja gerne der freien Körperkultur immer und in jedem Schrebergarten, ist stets stolz auf seinen schwulen Sohn und würde es natürlich begrüssen wenn seine Tochter Nacktbilder von ihren schönen Brüsten im Playboy hätte. Also nochmal:

     

    Kirche. Dorf. Nech?

  • MN
    mein Name

    wen die taz rassitische kommentare moderiert, warum lesen sich die meisten kommentare zum tuch jedesmal wie eine aufzählung der 100 dümmlichsten rasistischen stereotypen? naja..man weiß es nicht recht, ne..

     

    es ist auch faszinierend, welche vorwände leute erfinden können um ihre armseligen, einseitigen, vorurteilsbehafteten, ja fast schon rassistisch anmutenden* motivierten vorstellungen zu kommunizieren. aber-was wundert mich das, ist ja das nternet udn die HP der taz..das quasi die rechte spiegelverkehrt-zumindest was einige user angeht. die zeitung ist top.. und diese leute die alle pissig sind weil wieder son oller muselmann aufmerksamkeit bekommt.egal was der macht, er macht es falsch..tszs.. immerhin wird er auch bevorzugt,aber diese laufenden ningelbeutel her würden vermutlich-wenn man von der ..aeh.."qualität" ihrer so unglaublich geistreichen, sich nie wiederholenden kommentare ausgehen, nichtmal einen bruchteil dessen schaffen, was fr schleiereule hier schafft.

     

    (wenn einige jetzt empört luft abgasen, solten diese sich vielleicht mal darüber im klaren sein, was rassismus alles sein kann, nur weil man selbst davon keinen peil hat (aber das gegenteil behauptet weil man das ja mal in der schul hatte und man liest ja zeitung) heisst das nicht dass man nicht rassistisch ist. unsere welt ist volller alltagsrassismen und diese reflexhafte dummheit, ein alt auf eine extrem kleine idiotische bevölkerungsgruppe zu reduzieren, deren werte als allimmanten wahrzunehmen..

     

    aber klar, wir deutschen fressen ja auch nur sauerkraut mit eisbein und saufen bier bis die leber schreit,außerdem sind wir pädophile nazikatholiken aus dem weltall.

     

    sicher. genauso wie ihre annahmen alle unheimlicherweise komplett richtig sind. aber das wissen sie ja, irgendwer muss ja recht ham ne.

  • M
    Mensch

    Nur Vorurteile hier, aber was eigentlich gemeint ist,dass dort die Menschen gastfreundlich sind wird nicht angesprochen es wird nur schlecht geredet warum auch etwas Positives beitragen stimmt´s?

    Sind ja nur Muslime... -.-

  • S
    Sabine

    Hallo Kübra,

    darf man deinen Reisebericht als Ankündigung verstehen, in ein Land zu emigrieren,

    dessen Infrastruktur dringend junge, motivierte und zupackende Leute braucht?

     

    In den Aufbaujahren Israels haben dies junge Menschen aus aller Welt beherzigt, freilich ohne die Segnungen des Islam als Staatsreligion, was zu einer Unkultur der westlichen Widerrede führte.

     

    In einem Land wie Deutschland, wo einem andauernd Widerrede geboten wird, scheinst du dich ja offensichtlich nicht wohl zu fühlen.

     

    Im Maghreb und Ägypten findest du ein reiches Betätigungsfeld, an einer widerspruchslosen gesellschaftlichen Entwicklung mitzuarbeiten. Widerspruch im Islam wäre ja schon ein Widerspruch an sich, liefert der Koran doch alle endgültigen Wahrheiten und Lebensregeln, nicht wahr?

     

    Als - auf gehts: Keine Widerrede.

    https://koptisch.wordpress.com/2011/08/26/moslembruder-sagen-bikinis-den-kampf-an/

  • K
    k.a.

    ich weiß nicht, was die autorin damit sagen will.

  • MT
    Miaowara Tomokato

    Ob der Taxifahrer immer noch so herzlich wäre, wenn ich mit meiner besten Freundin (also weder verheiratet, noch fest zusammen)einen Strandabschnitt weiter der Freikörperkultur frönen würde, während er am Freitag mit seiner Familie dort grillt? Ob die Gastfreundschaft bestehen bleibt, wenn ich mir im Ramadan die Landjäger mit einem kühlen Lager herunterspüle? Ob die gegenseitige Toleranz auch mein ständiges Leugnen einer göttlichen Existenz mit einschließt? In Deutschland alles kein Problem. In Ägypten käme ich bestimmt nicht auf die Idee, diese Dinge für mich eizufordern. Warum auch? Gehe ich eben wieder nach Deutschland. In Rom wie die Römer!

  • MT
    Miaowara Tomokato

    Ob der Taxifahrer immer noch so herzlich wäre, wenn ich mit meiner besten Freundin (also weder verheiratet, noch fest zusammen)einen Strandabschnitt weiter der Freikörperkultur frönen würde, während er am Freitag mit seiner Familie dort grillt? Ob die Gastfreundschaft bestehen bleibt, wenn ich mir im Ramadan die Landjäger mit einem kühlen Lager herunterspüle? Ob die gegenseitige Toleranz auch mein ständiges Leugnen einer göttlichen Existenz mit einschließt? In Deutschland alles kein Problem. In Ägypten käme ich bestimmt nicht auf die Idee, diese Dinge für mich eizufordern. Warum auch? Gehe ich eben wieder nach Deutschland. In Rom wie die Römer!