Kolumne Das Schlagloch: Kritik der trickreichen Moral

Religionskriege haben meistens ökonomische oder machtstrategische Ursachen.

Dieses Mal ist es eindeutig besser gelaufen. Natürlich wird es auch weiterhin Rechte geben, die unter der Flagge der Demokratieverteidigung mit Dreck auf diejenigen werfen, die man früher "Ausländer" nannte und die heute "Muslime" heißen. Und es wird immer wieder Muslime geben, die darauf nicht moderat antworten, sondern zurückbeleidigen oder gar zu Brandsätzen und Bomben greifen, die für eine günstige Gelegenheit schon lange bereitgestellt waren. Aber während die dänischen Mohammed-Karikaturen ein solches Feuerwerk des gegenseitigen Hervorlockens und Bei-der-Gewalt-Ertappens noch auszulösen vermochten, gelang dies Geert Wilders Film "Fitna" nicht.

Die muslimischen Vereine der Niederlande und auch Deutschlands, die sich vom Karikaturenstreit noch schweigend überrollen ließen, traten nun frühzeitig, selbstbewusst und im besten Sinne konfliktbereit nach vorn. Ein klügeres Angebot als das des Senders Nederlendese Moslim Omroep, "Fitna" zu zeigen und anschließend darüber zu diskutieren, kann man nicht machen. Wilders lehnte das ab und zeigte so, dass es ihm um Auseinandersetzung gar nicht geht.

Die deutsche Öffentlichkeit wiederum erkannte den Unterschied zwischen einer Auseinandersetzung mit dem Islam und der Gehässigkeit gegen ihn, und unsere Feuilletons ließen sich nicht auf eine abstrakte Debatte um Pressefreiheit ein, sondern konzentrierten sich auf das konkrete filmische Produkt.

Das ist das Gute. Bleibt noch der Rest. Denn, seien wir ehrlich, auch die vernünftigsten und multikulturellsten unter den deutschen Nichtmuslimen haben insgeheim oft das Gefühl, dass der Islam - frei nach Houellebecq - vielleicht doch die schlimmste Religion sei. Sie erinnern sich an christliche Kreuzzüge und die Conquista, und während das zum Glück lange zurückliege, stehe die Reformation des Islams ja leider noch aus. Religion, selbst wenn sie Frieden predige, habe schon immer die schlimmsten Massaker losgetreten; und "wir" haben ja immerhin Aufklärung gehabt, die Muslime haben das noch nicht.

Nun ist es in der heutigen Stimmung wirklich schwierig, nicht wenigstens ein ganz klein bisschen islamophob zu sein. Wir alle (Muslime eingeschlossen) bekommen die Furcht vorm Islam seit Jahren auf dem Silbertablett serviert. Überhaupt, dass eine Debatte "pro und contra Islam" jederzeit auf Initiative eines Wilders oder Leon de Winters, Ralph Giordanos oder Henryk Broders aktivierbar ist, ist selbst eine Bedingung des Weiterbestehens für eine gut etablierte Islamophobie. Oft allerdings kann diese Islamophobie wunderbar auf einer allgemeinen linken Skepsis gegenüber jeder Religion selbst aufbauen; und darum im Folgenden ein paar Argumente, warum es mit dem Gewaltpotenzial des Islams und überhaupt der Religion vielleicht doch etwas verwickelter ist.

George W. Bush, der seinen zum Krieg motivierenden Reden gern kreuzzüglerische Motive und eine gute Portion Gottvertrauen beimischt, sei im Grunde selbst ein christlicher Fundamentalist, sagen viele, die den Islam gegen den Vorwurf, die einzige blutrünstige Religion zu sein, verteidigen wollen. Lieb gemeint. Aber ist das nicht ein Schritt zurück für alle, die einst mit Transparenten wie "Kein Blut für Öl" auf die Straße gegangen sind? Damals, 1991, glaubten wir nicht, dass rein humanitäre Gründe hinter der US-Intervention in Kuwait standen, später fanden wir nicht, dass der Krieg gegen den Terror in Afghanistan und Irak legitime Selbstverteidigung war. Wieso also sollten wir heute die Kriege von Bushs Amerika von einem geostrategischen Manöver zu einem religiösen Kreuzzug adeln?

Ja, sogar die Kreuzzüge selbst, und ebenso die Conquista, werden heute nicht mehr als reine Kreuzzüge angesehen. Keiner glaubt mehr, dass die Kreuzfahrer beim Zug nach Jerusalem nur aus Versehen auf Byzanz und seine Schätze stießen; wir wissen vom Goldrausch der Portugiesen und Spanier, während ihre Priester die Errettung wilder Seelen bejubelten. Wenige Religionskriege wurden wirklich vorrangig um einer bestimmten Religion willen geführt; die meisten werden von der heutigen Geschichtsschreibung auf ökonomische oder machtstrategische Ursachen zurückgeführt. - Die "guten" Kriege übrigens auch!

Was lachte meine US-amerikanische Freundin E., als sie hörte, dass wir deutschen Schüler gelernt hatten, der amerikanische Bürgerkrieg sei für die Befreiung der Sklaven geführt worden. Ach was, sagt sie, da ging es doch um Kontrolle der Exportwirtschaft, das weiß bei uns längst jedes Kind.

Jede uns bekannte Religion ist Teil verschiedenster sozialer und politischer, auch gewalttätiger, Umwälzungen geworden, vor denen wir, aus historischem Abstand gesehen, manchmal Respekt und häufiger noch Abscheu empfinden. Und das Erschreckende an der Religion "an sich" ist nicht so sehr, wie oft sie aus eigener Dynamik heraus zur Gewalt aufstachelt, sondern wie bereitwillig sie sich zur Gewalt aufstacheln und mit den verschiedensten weltlichen Motiven verschmelzen lässt.

Ist dies aber wiederum ein Merkmal von Religion allein oder eben nicht jeder Ideologie, jeder Weltanschauung, die ihren Angehörigen ein starkes Identifikationspotenzial bietet, inklusive dem Selbstanspruch, auf der Seite der Guten zu stehen? Hier kommt mein Lieblingsargument ins Spiel, das ich oft aus linkem Munde zu hören bekomme: Wir Westeuropäer hätten aber immerhin die Aufklärung gehabt. Als ob die Aufklärung alles Übel, das einst von der Religion unterstützt wurden, aus dem Weg geräumt hätte! Die größten Massenmorde Westeuropas wurden in säkularer Zeit begangen, von säkularen Regimen; dieselben Naturwissenschaften, denen die Aufklärung Freiheit von christlichem Dogmatismus erkämpft hat, haben die übelsten Bomben gebaut. In seinem Buch "Die Barbarei der anderen" hat Immanuel Wallerstein gezeigt, dass die Rechtfertigungsversuche heutiger Kriege (für Menschenrechte, Demokratisierung etc.) bis in einzelne Argumente hinein der damaligen Verteidigung der Conquista gleichen.

Wenn das Gespräch auf Religion und Terror, Islam und Aufklärung kommt, verwandeln sich manche deutsche Linke, Postkonstrukturalisten und Foucaultianer in stramme Königsberger Idealisten. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Islam noch etliche Reformationen und Liberalisierungen braucht. Aber wir leben hier in Westeuropa. Die Politik unserer Länder wird nicht von der einen oder anderen Religion bestimmt, sondern von einer säkularen Rechtsauffassung und unserer von dem Aufklärer Kant geprägten Moral.

Diese Moral hat bis heute leider immer wieder Kniffe und Tricks gefunden, um Kriege und "humanitäre" Militäreinsätze zu legitimieren, um die Ausbeutung der Dritten Welt zu dulden und die massenhafte Quälerei von Tieren. Bei aller Kritik an dieser oder jener Religion dürfen wir nicht die Kritik dieser Moral aus den Augen verlieren - eines zwar säkularen Gedankengebäudes, das aber so vielen großen Verbrechen Raum gelassen oder sogar geschaffen hat.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.