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Kolumne Das SchlaglochEndlose Selbstbetäubung

Kolumne
von Ulrich Peltzer

Nahezu alle wollten fest daran glauben, dass die Börse Wunder vollbringt.

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1 Kommentar

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  • A
    anke

    Welches Wettbüro versichert seinen Kunden, dass Risiken ausgeschlossen sind? Ulrich Peltzer hat ganz Recht: Diese Gesellschaft pflegt die Selbstbetäubung. Weder der avancierte Kapitalismus (was immer das sein mag) noch die Betreiber des Wettbüros, über dessen Tür das Schild: „Zum Gewinner“ prangt, haben jemals behauptet, dass hier und heute jede/r gleichermaßen ihr/sein Glück machen könnte. Im Gegenteil. Die ganz richtig diagnostizierte Selbstbetäubung der Massen resultiert vor allem daraus, dass ihnen permanent gedroht wird. Mit finanziellen und sozialen Katastrophen zum Beispiel. Und zwar für den Falle, dass sie nicht genau das tun, was propagiert wird: clever wetten.

     

    Dass es nichts nützt, sein TV-Gerät aus dem Fenster zu werfen, weiß heutzutage beinahe jeder. Und dass diese Form der Gewalt gar nicht nötig ist, weil das Ding einen Knopf zum Ausschalten hat, wissen wir auch. Das Problem ist: Wir fürchten, etwas zu verpassen, wenn wir den Knopf betätigen. Irgend einen ganz wichtigen Hinweis for instance. Und das, sollte man annehmen, kommt daher, dass die TV-Schwätzer vielleicht nichts zu sagen haben mögen, dass sie dieses Nichts mit Hilfe modernster Hirnforschungserkenntnisse aber immerhin so geschickt verpacken, dass es wie ein Etwas aussieht. Weil sie nämlich selbst Angestellte des oben erwähnten Wettbüros sind und ihr Arbeitgeber ihnen glaubhaft versichert hat, sie müssten verhungern ohne ihn.

     

    Therapeutischer Maßnahmen gegen Selbstentmündigung und Unterwürfigkeit? Wo gibt es die? Man hat sich zumindest seinem Arzt zu unterwerfen, wenn man eingesehen hat, dass man ernsthaft erkrankt ist. Schließlich: Nur der Profi, nur der also, der (möglichst hoch) bezahlt wird für sein Tun, gilt als wirklich wissend. Jeder wissende Profi aber erklärt einem ganz genau, wie die Frage: "Wie willst du leben?" zu verstehen ist. Nicht als Aufforderung nämlich, über den Sinn des Großen und Ganzen nachzudenken nämlich, sondern lediglich als Frage nach dem käuflichen Luxus, mit dem man sich umgibt, sei er nun materieller oder ideeller Art. Arbeit macht frei? Kaufen macht glücklich!

     

    Schon immer hat Ideologie bedeutet, den Irrsinn für vernünftig zu halten. Das perfide an Ideologien allerdings ist, dass sie als solche nur von denen erkannt werden können, die rein gar nichts zu melden haben. Sobald nämlich Extravaganz einen Marktwert erhält, ist sie teil des Problems, nicht Teil der Lösung. Nicht der Trugschluss, die Börse könne Wunder wirken, ist gefährlich. Gefährlich ist der Wunderglaube als solcher.