Kolumne Das Schlagloch: Der Weltenretter ihr Fleisch
Sie wollen das Klima retten - aber der Verzicht auf Fleischprodukte kommt für sie nicht in Frage. Das ist grotesk. Denn das eine geht ohne das andere kaum.
E rst dieser Tage entbrannte in einer Runde von Facebook-Freunden wieder die Frage, was wohl die "radikalste" Weise sei, das Klima zu schonen. Es kamen sehr tiefsinnige Antworten. Recyclingtoilettenpapier. Einfach häufiger mal faul sein. Als ich vorschlug, man könne auf den Verzehr tierischer Produkte verzichten, kam die Kette fröhlichen Assoziierens vorübergehend zum Stillstand. Dann meldete sich der Fragesteller wieder zu Wort: Erstens, wohin dann mit all den Schweinen? Und zweitens: Die gesuchte Methode solle nicht nur radikal, sondern auch realisierbar sein!
Genauso gut hätte er schreiben können: denkbar. Für viele, auch viele Weltenretter von heute, ist der Verzicht auf Fleischkonsum oder dessen deutliche Einschränkung anscheinend nicht einmal denkbar. Man grübelt in großem Bogen darum herum und erwägt Lösungsmöglichkeiten auf längst ausgetrampelten Pfaden. Ungezählt die Klimakonferenzen, bei denen mit besorgter Miene und beim Verzehr von Schinkenhäppchen darüber philosophiert wurde, wie man der Welt etwas Gutes tun könne.
Nur noch zu Fuß einkaufen?
ist Journalistin und Schriftstellerin.
Nur noch zu Fuß einkaufen gehen? (Die Herstellung von einem Kilo Rindfleisch belastet das Klima so stark wie 250 km Autofahren.) Einen wassersparenden Duschkopf anschaffen? (Für die Produktion von einem Kilo Fleisch werden 15.500 Liter Wasser verbraucht.) Traurig, wie die Polkappen schmelzen? (Bei der Produktion von Fleisch und Lebensmitteln tierischen Ursprungs entstehen 40 Prozent der Treibhausgase.) Und dann der arme Süden, der hungert! (Um 1 kg Fleisch zu erzeugen, werden 7-16 kg Getreide oder Sojabohnen für Futtermittel statt als direkte menschliche Nahrung aufgewendet.)
Es ist nach wie vor grotesk, einfach über Welthunger und Ernährung zu reden, ohne die Fleischproduktion anzusprechen. Und genauso einfach und grotesk ist es, über Klimaschutz zu sprechen, ohne Nicht-Fleischessen auch nur zu erwähnen. Die deutschsprachige PDF-Version der Agenda 21, die 172 Staaten 1992 in Rio de Janeiro unterzeichneten, um darin Leitlinien für nachhaltige Entwicklung festzulegen, umfasst 361 Seiten. Auf keiner davon wird die Frage des Fleischkonsums berührt, nicht einmal in den Kapiteln "Veränderung der Konsumgewohnheiten" oder "Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft".
Man mag einwenden, das sei halt zwanzig Jahre her. Doch wird man in neueren Publikationen oft demselben blinden Fleck begegnen. So zeigt das Themenheft der Heinrich-Böll-Stiftung zu "Landwirtschaft und Klimawandel" von 2010 auf seinem Cover zwar eine Kuh in einem Treibhaus, beschäftigt sich im Inneren aber lieber mit Brot, Getreide, Tomaten, Kartoffeln und Äpfeln, während nur eine von 18 Doppelseiten die Folgen der Fleischproduktion für die Umwelt darstellt.
Von wegen Fleischproduktion
In der schriftlichen Zusammenfassung des Weltagrarberichts aus demselben Jahr ist sogar nur eine von 41 Seiten dem Fleischkonsum gewidmet. Stattdessen wird viel wird über Kunstdünger informiert, über Monopolisierung des Saatguts und die genetische Veränderung von Saatgut - völlig ungeachtet der Tatsache, dass der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft längst auch die Tierindustrie erfasst hat, entsprechende Forschungen hier und in Schwellenländern wie China boomen und die modernen Hochleistungszüchtungen (unter anderem bei Hühnern, Schweinen und Fisch) oft zu ähnlichen Monopolen und Abhängigkeitsstrukturen zulasten der Kleinbauern führen wie im Bereich des Saatguts.
Kurz und gut, solche Publikationen und auch die meisten Weltverbesserungsdiskussionen klammern sich in ihrer Kritik der Entwicklungs- und Agrarpolitik gleichsam am Stand der 80er Jahre fest. Sie weigern sich geradezu, neuere Phänomene wie die weltweite Verbreitung der Intensivtierhaltung zur Kenntnis zu nehmen - und vor allem weigern sie sich, eine Erweiterung ihrer moralisch-politischen Agenda zu erwägen.
Bloß nicht vom Tier sprechen
Nämlich um das Thema Tier. Tierschutz, Tierethik. Und seien wir ehrlich: Selbst wenn wir über "Fleischproduktion" reden, ist ja noch längst nicht von Tieren die Rede. Bereits der Begriff "Fleischproduktion" enthält einen gewissen Euphemismus: Als Produzent (eines Konsumguts) erscheint der Mensch - wobei eigentlich ein Tier (ein Lebewesen) ein anderes gebiert. Dieser Nachwuchs frisst, wächst und wird später getötet.
Ebenso schief ist der Begriff des Nahrungs"lieferanten", weil das Tier weder seinen Körper noch dessen Sekrete abliefert, schon gar nicht freiwillig. Wenn also in Öko-Kontexten schon der Fleischkonsum selten erwähnt wird, ist noch weit seltener vom Tierschutz, überhaupt: von den "dazugehörigen" Tieren, deren Tod oder Empfinden die Rede.
Die meisten Statistiken geben den Fleischverbrauch ohnehin in Kilogramm an, nicht in Tieren. Wie viele Tiere verzehren wir weltweit überhaupt? Die FAO spricht von jährlich immerhin 56 Milliarden. Der Pro-Kopf-Verzehr in den Industriestaaten ist mehr als doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt, circa 98 Prozent der hiesigen Tiere stammen aus Massentierhaltung. Dabei kenne ich keinen informierten Verbraucher, den die bekannten TV-Reportagen über Wiesenhof-Skandale oder Schweineschlachthöfe kaltlassen; und auch viele Landwirte sind mit den heutigen Systemen nicht glücklich.
Was folgt daraus? In der erwähnten Zusammenfassung des Weltagrarberichts heißt es: "Auch wenn der Weltagrarbericht selbst zum Konsumverhalten keine Empfehlungen gibt, lassen seine Ergebnisse nur einen Schluss zu: die Reduzierung des Fleisch- und Milchverbrauchs in den Industriestaaten und ihre Begrenzung in den Schwellenländern?" Und das Böll-Themenheft formuliert etwas verdruckst, dass "bislang - bis auf eine Reduktion des Fleischkonsums - keine generellen Empfehlungen ausgesprochen werden können".
Na los, liebe Klimaschützer, dann sprecht diese Empfehlungen doch endlich aus! Warum so zaghaft? Und zieht bei euren Positionspapieren und Tagungen und "Gipfeln" die Konsequenzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Merz stellt Reform in Aussicht
Zarte Bewegung bei der Schuldenbremse
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“