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Kolumne Das GerichtPlatzhirsch mit Reisschüsseln

Warum die Chinesen immer etwas zu tun haben, auch wenn es eigentlich nichts zu tun gibt.

Wenn Chinesen nichts zu tun haben, dann gibt es immer noch was zu tun, nämlich: Essen. Eine ganze Armada von Garküchen, Imbissständen und fliegenden Händlern hat mit dieser Eigenart zu jeder Tages- und Nachtzeit ihr Auskommen. China ist ein Fast-Food-Land, und McDonalds hat es gegen die Platzhirsche richtig schön schwer. Plastikspielzeug, bequeme Sitzschalen und das andere Klimbim sind vielen Chinesen herzlich egal, Brot im Allgemeinen und Hamburger-Brötchen im Besonderen sind ihnen noch etwas suspekt.

Bild: taz

Jörn Kabisch (36) ist Leiter der Schwerpunktredaktion der taz. Er meint: Linke Gourmets müssen keine aussterbende Minderheit bleiben.

Hauptsache, das Essen ist gut, warm und kommt am besten frisch aus dem Topf. Dann wird die Suppe um einen populären Nudelstand eben schnell im Stehen geschlürft oder ein freies Plätzchen auf einem Treppenabsatz oder am Bordstein gesucht - egal, ob zwei Meter weiter der Lkw seine Abgase genau Richtung Wegwerf-Reisschüssel bläst. Drei Mahlzeiten am Tag, das ist den meisten Chinesen zu wenig, vier sind das Minimum, vor allem, weil hier schon sehr früh zu Abend gegessen wird. Spätestens um 18 Uhr sollte ein Restaurant in Peking voll geworden sein. Sonst muss sich der Wirt Sorgen machen. Bei einem so zeitigen Abendessen ist bald wieder Gelegenheit für ein kleines Nachtmahl an der kleinen Schaschlik-Braterei vor dem Haus. Der Mann baut seinen kleinen Grill gerade zwischen zwei parkenden Autos auf.

Ich finde, um ein Gespür für den Geschmack der Leute in einem Land zu bekommen, eignen sich Restaurantbesuche nicht, man muss das Zeug auf der Straße probieren. Und man sollte sich dabei kein Beispiel an Anthony Bourdain nehmen, ein alternder Hippie-Koch aus New York, der für seine Fernsehserie "No Reservations" um den Globus jettet und sich von Straßenhändlern frittierte Maden in den Mund schieben lässt, das noch pumpende Herz einer eben geschlachteten Kobra und andere Unappetitlichkeiten, die eher was mit pubertären Mutproben zu tun haben als mit Genuss.

Und entgegen aller Vorurteile, die im Westen existieren, muss man auch in China lange suchen, bis man Gerichte findet, die einem das Gruseln über den Rücken jagen. Mit einer Ausnahme: den Nachtmarkt auf der Pekinger Donghuamen-Straße. Hier tummeln sich fast ausschließlich westliche Touristen an Buden, die alle aussehen wie auf einem kleinstädtischen deutschen Bierfest und nur eins im Angebot haben: Appetitliches und Absonderliches auf Holzspießen. Drumherum stehen Chinesen und schmunzeln über die Langnasen, die alle gegrillte Skorpione und Tausendfüßler fotografieren. Besonders, wenn jemand eine Unsumme hinlegt, um wirklich mal reinzubeißen. Mutproben sind eben auch in China nicht billig zu haben. Skorpion übrigens schmeckt nach harten Kartoffelchips mit Shrimp-Geschmack.

Wechseln wir also, um was über den alltäglichen Geschmack herauszufinden, zu den Imbissständen, an denen die Leute Schlange stehen. Fazit: Die Chinesen mögen es herzhaft, salzig und gehaltvoll - und sind noch nicht auf Süßes getrimmt wie wir Westler. Dafür sollte Knoblauch nicht fehlen, und pikant bis scharf darf es immer sein.

Da gibt es Jianbing, mit Frühlingszwiebeln und scharfer Sojabohnenpaste gefüllte Crêpes, die vor Fett glänzen. Oder eben kleine Fleisch- und Gemüsespießchen - Chuan -, die vor den Augen des Kunden auf kleinen Kästen mit glimmender Kohle gegrillt werden. Auch eine chinesische Variante der Pizza existiert - Shaobing -, und das schon seit ein paar Jahrhunderten, wie mir ein Verkäufer erklärte. Der Belag besteht meist aus Hackfleisch und Sesam. Und dann die vielen Arten von Nudeln: Jaozi und Baozi sind die Klassiker. Erstere sind vergleichbar mit Maultaschen, sie werden in der Pfanne angebraten, Baozi dagegen sind meist mit einer Mischung aus Fleisch und Gemüse gefüllte Hefeklößchen, die im Bambuskorb gedämpft werden. Und das sind nur die verbreitetsten Arten von Streetfood, die man in Peking angeboten bekommt.

Bei so großer Vielfalt, was soll man da schon anderes zu tun haben als: Essen.

Stäbchenfragen? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN

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1 Kommentar

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  • H
    haatee

    Ja, die Chinesen wissen, wie man isst! Obwohl ich persönlich ja glaube, dass das Geheimnis ganz einfach ist: man kann einfach alles immer mit allem kombinieren und zack hat man super viele Gerichte. In Südchina wird übrigens viel Süßes gegessen, in Shanghai ganz extrem. Ich bevorzuge die Nord-Ost-Küche.

     

    Interessant ist auch, was sich für eine Wissenschaft drumherum aufgebaut - also ich glaube Koch werden ist so ziemlich das schwierigste in China.