Kolumne Das Gericht: Der Polenta-Plätzchen-Masochist
Zur Biografie jedes guten Essers gehört: Am Anfang war der Ekel, aber dann folgt das Wunder.
M an ist als leidenschaftlicher Esser auch immer Masochist: Das gilt für mich, das scheint mir aber auch eine verallgemeinerbare Regel zu sein. Denn wer sich mit seinem alten Geschmack nicht zufriedengeben und neue Speisen und Gerichte ausprobieren will, hat auf der Reise immer einen Gefährten an seiner Seite: den Ekel.
JÖRN KABISCH (36) meint: Linke Gourmets müssen keine aussterbende Mindheit bleiben
Und das sogar in zweifacher Hinsicht. Denn isst man ewig das Gleiche, im meinem Fall war das jugendlicher Reis mit Curry-Ketchup, und das fast ausschließlich ein ganzes Jahr lang, hat man das Zeug irgendwann über. Ich hatte davon so genug, dass ich noch heute bei dem Geruch von Ketchup-Reis Brechreiz verspüre. Aber ich weiß auch noch, dass die Suche nach einer Ersatzbefriedigung sich damals als ebenso ekelerregend gestaltete, mindestens für meine Geschwister. Ich schwenkte schließlich über auf Nudeln, die unter einer Parmesanlawine begraben waren. Und die kam aus einer Plastiktüte.
Aber ich will nicht von Jugendsünden erzählen, sondern von dem aktuellen Ringen mit dem Ekel. Ich frage mich schon, ob ich einen speziellen Hang zur Autoaggression habe, aber ich habe in jüngster Zeit einen ziemlichen Ehrgeiz entwickelt, mich an Gerichten auszuprobieren, die ich eigentlich noch nie versucht habe. Den Startschuss gab vor einem Jahr Natto. So bezeichnen Japaner vergorene Sojabohnen: die Hülsen stecken in einem hellbraunen Schleim, der Fäden zieht wie ein lauwarmes Käsefondue. Und wäre diese Beschreibung nicht schon ekelerregend genug, wurde mir das Ganze auch noch mit der Erklärung serviert, Europäer würden Natto eigentlich nie mögen. Doch das weckte nur den Eifer, die Ausnahme von der Regel zu sein. Und ich aß und aß und aß, und beim dritten Mal fand ich: doch, Natto schmeckt.
Bei Polenta war das schon schwieriger, obwohl das sogar mehreren Europäern schmeckt. Seitdem ich meine eigene Küche habe, also schon eine ganze Weile, ist bei mir einmal im Jahr Polenta-Tag, mehr war aber auch nie. Dieses Jahr wollte ich mit dieser Tradition brechen. Schon im Juni rührte ich das erste Mal den Maisgries in das kochende Salzwasser und brummelte zornig: "Und diesmal schmeckst du?" Aber das Besprechen von Töpfen und Zutaten hat noch nie geklappt und funktionierte auch in diesem Fall nicht. Die Masse blubberte nur gereizt zurück, und ich lernte, Polenta kann ziemliche Verbrennungen herbeiführen.
Heraus kam aber wieder dieser fad schmeckende kanariengelbe Brei, den ich stocken lassen musste, um anschließend Polenta-Plätzchen zu braten, die man einigermaßen essen konnte. Nun hatte ich genug. Ich fing an, mich quasiwissenschaftlich mit Polenta zu beschäftigen, las Rezept um Rezept, stieß sogar auf eine kleine Historie, wie der Mais im 17. Jahrhundert von Südamerika nach Europa kam, und rührte immer wieder den Gries in den Topf. In kochende Milch, in heiße Brühe. Aber es half alles nichts. Ich wusste, ich bildete mir nur ein, dass die Polenta besser schmeckte. Das Urteil der Frau, mit der ich zusammenlebe, ist unbestechlich. "Das Zeug schmeckt doch wieder nur nach nichts. Ekelhaft." Zwei Kilo Maispulver, also nach Packungsanweisung zubereitet zehn Liter Polenta, fanden so ihren Weg in meinen Biomüll.
Ich hatte mich schon fast damit abgefunden, mein restliches Leben als leidlicher Polenta-Plätzchen-Esser verbringen zu müssen, als ich auf ein Rezept stieß, das vorschrieb, die Polenta eine ganze Stunde lang zu kochen. Das schien mir noch einen letzten Versuch wert, auch wenn es noch weitere Verbrennungsgefahr bedeutete, und griff anschließend auch noch zu garantiert wirkenden Geschmacksverstärkern. Diesmal fiel das Urteil positiver aus: "Wow!"
Ich präsentiere also nun ausnahmsweise in dieser Kolumne mal ein Rezept: Nehmen Sie besten Maisgries und kochen Sie ihn eine Stunde mit etwas mehr Wasser als auf der Verpackung angegeben, gut gesalzen und mit grob zerstoßenen Fenchelsamen. Das vertreibt den muffigen Geschmack und macht den Brei seidenweich und butterig. Kurz vor dem Servieren rühren Sie noch frisch geriebenen Parmesan in die Polenta und einen guten Schuss Olivenöl.
Bei mir gibt es inzwischen öfter Polenta, aber auch wieder nicht so oft: Ich weiß, da wartet wieder nur der Ekel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren