piwik no script img

Kolumne DarumAuf der Achterbahn

Maik Söhler
Kolumne
von Maik Söhler

Während der Fahrt auf der „Colorado Adventure“ im Phantasialand werden Kinder zu „scream machines“. Ich darf nicht schreien. Das ist ungerecht.

Kreeeeiiiiisch! Achterbahn „Silverstar“ des Europa-Parks in Rust. Bild: dpa

A chterbahnen und Kindererziehung haben viel gemeinsam. Es geht drunter und drüber. Alles passiert viel zu schnell. Teile der Reise sind unübersichtlich oder finden gleich ganz im Dunkeln statt. Wenn es einmal losgegangen ist, kann man unterwegs nicht aussteigen. Und manchmal wird einem schlecht, man darf es aber nicht zeigen.

Solche Gedanken kommen einem während der gut zweiminütigen Fahrt auf der Colorado Adventure im Phantasialand Brühl. Und so schnell sie kommen, so schnell sind sie auch wieder weg. Was nach so einer Achterbahnfahrt mit der Tochter bleibt, ist die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann.

Wie leichtfertig man beim Essen mit Frau und Kindern darüber plauscht, dies schon gemacht zu haben und das gerne mal ausprobieren zu wollen und jenes damals leider verpasst zu haben. Einen Fallschirmsprung aus 4.000 Metern Höhe hat mir solch hirnloses Gelaber schon eingebracht und nun eben diverse Höllenfahrten in einem Freizeitpark.

Denn zu erzählen, dass man als Kind auch so gerne Achterbahn gefahren sei und dann tatsächlich – 30 Jahre nach der letzten Fahrt – wieder in einer zu sitzen, sind zwei grundverschiedene Sachen. Die Achterbahnen von 1983 sind nicht identisch mit denen von 2013. Wo gestern Mut war, sind heute Zweifel. Unbedarftheit ist gereizten Nerven gewichen. Und ein Magen wird ja auch nicht jünger.

So eine Achterbahnfahrt geht langsam los. Man wird irgendwo sehr steil hochgezogen und weiß: Wo es hoch geht, geht es auch wieder – uiiiii. Alle fangen an zu schreien, meine Tochter auch, und gleichzeitig sehe ich in ihren Augenwinkeln die Erwartung, dass ich nicht schreien soll.

Unproduktiv und sinnlos

In welcher Sicherheit habe ich bloß beim Essen vom Achterbahnfahren gesprochen, dass nun von mir erwartet wird, das Grauen minen- und geräuschlos ertragen zu müssen? In den USA werden die Dinger auch „scream machines“ genannt.

Warum, verdammt, darf meine Tochter sich bei gefühltem Tempo 200 im Auf und Ab und Kreuz und Quer wie ein Kind verhalten – und ich nicht? Der Freiburger Soziologe Sacha Szabo, der über Attraktionen auf Jahrmärkten und in Vergnügungsparks promoviert hat, zählt die Achterbahnfahrt zu den Rausschspielen. Ihr „kennzeichnendes Element" sei „ihre völlige Unproduktivität und scheinbare Sinnlosigkeit“.

Unproduktivität und Sinnlosigkeit reklamieren Kinder gerne für sich, teils zu Recht, teils nicht. Von uns Eltern erwarten sie, dass wir ihnen dabei nicht in die Quere kommen. Dass auch wir „Rauschspiele“ mögen, umso mehr, wenn wir uns dabei komplett gehen lassen können, ist ihnen suspekt. Daher der warnende Kontrollblick der Elfjährigen in meine Richtung, während sie sich in rasender Abwärtsfahrt in eine lebende „scream machine“ verwandelt.

Also gibt es zwei Sachen, die sich ändern müssen. Nicht mehr leichtfertig vor den Kindern von Dingen sprechen, über deren Auswirkungen man sich selbst nicht im Klaren ist („Als ich Kind war, habe ich auch gerne haarige Plastikvogelspinnen unter Kopfkissen versteckt“). Und wenn doch, dann so, dass die Kinder gleich begreifen, dass Kontrollverlust ihnen nicht allein vorbehalten ist. Beides zugleich zu vermitteln ist kompliziert – ich könnte schreien. Achterbahnfahren ist leichter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Maik Söhler
Journalist
Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • E
    Emma

    Mein Vater sieht noch mit fast 60 Jahren Comic-Fernsehen wie Timon & Pumbaa. Die Zeichentrickfilme findet er oft origineller als Fernseh-Produktionen mit echten Menschen.

     

    So what?

     

    Halte ich ihne deshalb für schräg? Nein, deswegen nicht. Eher deswegen, weil er meine Jugend über Socken eine Woche lang anzog, im Bad vor die Nase aller Klo-GängerInnen aufhing und dann mit dem Argument kam, das sei doch besser für die Umwelt - weniger Wäsche und so. Dann aber Batterien im Klo runterspülen ... hoffnungsloser Umwelt-Sünder.

     

    Als ich meine Eltern als Kind überredete, in Disney Land bei Paris die Achterbahn "Space Mountain" mitzufahren, zeigten die zwei deutliche Symptome von Angst in der Kein-zurück-mehr-Schlange vor der Bahn. Während der Fahrt übergab sich mein Vater fast.

     

    Und die Lehre für uns?

    So entstehen schöne Erinnerungen, über die man noch über ein Jahrzehnt später unterhaltsam erzählen kann. Die Erzählungen werden sogar immer fantastischer. Muss wohl der reine Horror gewesen sein ... Space Mountain.

     

    Ich finde solche Erinnerungen super. Sie machen mir wieder bewusst, welche unterschiedlichsten Phasen meine Eltern mit mir durchlebt haben. Wenn sie älter und älter werden werden, haben wir einen riesigen Schatz an Erinnerungen, an die wir zurückdenken können. Wir werden dann wohl kaum über gemeinsam angesehene Abenteuerfilme reden.