piwik no script img

Kolumne DarumBitte helfen Sie mir!

Maik Söhler
Kolumne
von Maik Söhler

Handschuhe, Mützen, Schals, Jacken und Gitarren: All das kann ein Kind mit in die Schule nehmen, all das kann es dort auch vergessen. Und noch mehr.

Darin wäre ja wenigstens noch Platz, um ein paar Tage zu überleben. Aber in so einer Schulkiste? Bild: dpa

D iese Herbstzeit. Zwischen Anfang Oktober und Mitte November ist es am schlimmsten. Es ist morgens schon so kalt, dass man die Kinder darauf hinweist, nicht ohne Jacke in die Schule zu gehen. Mittags aber ist es manchmal noch so warm, dass die Kinder in der Jacke schwitzen. Sie ziehen sie dann aus, lassen sie irgendwo im Schulgebäude liegen und kommen ohne Jacke heim.

Im besten Fall am nächsten Morgen – wieder ist es kalt, aber die Jacke ist nicht da und so weist man darauf hin, dass bitte ein dicker Pullover angezogen wird und bitte, bitte die Jacke heute nicht wieder in der Schule vergessen wird –, im besten Fall also wissen sie noch, wo sie die Jacke hingelegt haben und dann ist es mittags so kalt oder regnerisch, dass sie die Jacke tatsächlich mit nach Hause bringen.

Der dicke Pullover aber bleibt liegen. In all der Freude, dass die Jacke wieder da ist, bemerken wir den Verlust des Pullovers erst Tage später, als auch eine Mütze in der Schule vergessen wurde. Nun liegt der Pullover nicht mehr da, wo er ausgezogen wurde, sondern er wurde von irgendwem gefunden, im Sekretariat abgegeben oder gleich in eine der vielen „Vergessene-Kleidung-Sammelkisten“ geworfen. Davon gibt es mehrere.

Die Schule hat eine, der Hort für die jüngeren Schüler hat eine und der Hort für die Älteren auch. Das Kind kann sich nun selbst auf die Suche machen und die Kisten durchwühlen. Das wäre pädagogisch richtig. Wer etwas verliert, muss es auch selbst wiederfinden. Das Problem ist: Wir sind ja alle nicht die Reichsten und die meisten von uns schauen aufs Geld und kaufen Kinderklamotten nicht beim Edeldesigner.

Mützen gleich im Dutzend

Anders gesagt: Das Kind findet den Pullover wieder, aber er hat sich seltsamerweise vermehrt – gleich in vierfacher Ausfertigung liegt er in der Kiste. Was nun? Die Zeit ist knapp, draußen spielen die Kumpels Fußball und in dieser verdammten Jacke schwitzt man so unerträglich; es wird einfach irgendein Pullover gegriffen, er wird in den Schulranzen gestopft und zu Hause stolz präsentiert. Klar, es ist der Falsche. Ein Name steht drin, Telefonlisten werden gewälzt, Eltern informiert, das Kind muss am nächsten Tag nochmal zur Kiste, wo immer noch mehrere Pullover des gleichen Modells liegen und Mützen gleich im Dutzend.

Schon in der Kita war es so, dass man Mützen, Schals, Handschuhe, dünne und dicke Pullover, Westen und Jacken, ja, selbst Schuhe (einer Dreijährigen ist es egal, ob sie in Stiefeln oder in Pantoffeln abgeholt wird, und man selbst hat es ja auch mal eilig) wieder und wieder gesucht, gefunden, zu Hause als die falschen identifiziert und mit anderen Eltern getauscht hat, die ebenfalls gesucht, gefunden und zuhause den Irrtum bemerkt haben. Die Kinder werden größer, die Objekte auch. Heute kann es auch mal eine Gitarre oder ein Cello sein, die in der Schule bleiben.

Bitte helfen Sie mir. Denn es wird eng für mich. Seit Tagen, genauer: seit dem letzten Streit übers „Lichtausmachen“ , beschleicht mich der Verdacht, dass eines meiner Kinder vorhat, mich mit in die Schule zu nehmen. Sollten Sie mich dort in einigen Wochen auf der Suche nach vergessener Kleidung Ihrer Kinder in einer Kiste finden, schauen Sie bitte aufs Namensschildchen und geben Sie mich zu Hause ab. Danke im Voraus!

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Maik Söhler
Journalist
Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.
Mehr zum Thema

0 Kommentare