Kolumne Blagen: Die kleine Lady und der Lord
Kennen Sie den Unterschied zwischen Rillette und Confit? Fragen Sie eine Achtjährige.
W ürdest du mir bitte mal den Pastetenteller reichen?", fragt die kleine Lady. Ich tue wie geheißen. "Danke", spricht sie, "das Entenconfit ist ja leider alle, aber so ein einfaches Rillette schmeckt auch." Beherzt greift sie zu. Zwischen Käse- und Pastetenhäppchen spült sie brav mit etwas Evian, und die Krümelchen in ihren zartrosa Wundwinkeln wischt sie beherzt mit dem roten Pulloverärmel weg.
Die kleine Lady ist acht Jahre alt. Sie ist ein ganz und gar wunderbares Kind, munter, gewitzt, von properer Körperlichkeit. Sie isst halt gern. Und gut. Ihre Mutter ist eine begnadete Köchin, die in ihrer Altbauküche eine große Wärme und Gastlichkeit verbreitet. Sie steht da am Herd, schnippelt und rührt und redet, sie bestreicht kleine Sandwiches als Vorspeise und sieht, wo der Wein fehlt, bevor der Gast selbst es bemerkt hat. Kein Wunder also, dass die kleine Lady weiß, wie ein gutes Olivenöl zu schmecken hat oder dass sie in ihrem zarten Alter Spaß am Verzehr Grüner-Mandel-Tapenade findet.
Wir sitzen also da und reden und spachteln, der gute Wein fährt in die Köpfe, das feine Essen macht die Beine schwer, die kleine Lady nippt am Wasserglas und unterhält die Runde mit Schnurren. Nebenbei malt sie auf Vaters neuem iPad ein paar ganz vertrackte Bilder mit Zaubergärten in Astgabeln und Pferden, die "Shut up!" wiehern. Es ist einer jener großartigen Momente purer Freude am Nachwuchs, dem schönen Gefühl von Frieden und Sicherheit. Kinder, denke ich, sind so was Großartiges. Was für ein Glück, wenn sie gesund sind. Und was für ein grandioses Leben wir mit ihnen führen dürfen und können … In ihren Augen die ganze Welt!
ANJA MAIER ist Redakteurin der sonntaz.
Das Tischgespräch hat sich mittlerweile Richtung Urlaubsplanung bewegt. Ich erzähle was von Istanbul und Ostsee, ein anderer Gast schwärmt von einem verschwiegenen Bootshaus im Mecklenburgischen. Es plätschert so, bis die kleine Lady ihre Reisepläne zum Besten gibt. Sie beabsichtigt, mit ihrem Vater nach Cancale zu reisen, in die Bretagne also. Ja, denke ich noch, dort kann man sicher prima baden und Donnerkeile suchen, als der Lord, also der Vater der kleinen Lady, sagt, er fände schon, dass seine Tochter mal sehen solle, wo ihre Austern herkommen.
Das Gespräch stockt, ungläubige Blicke werden gewechselt. Aber nein, es stellt sich heraus, dass die kleine Lady nicht nur den Unterschied zwischen Rillette und Confit kennt, sondern regelmäßig und gern mit dem Lord in einem Berliner Delikatessengeschäft Austern zu schmausen pflegt. Und die besten, da sind sich Lord und Lady einig, kämen nun mal aus Cancale - sowohl die gute Pazifische Felsenauster als auch die noch bessere Europäische Auster. Davon verstehen die beiden wirklich was. Und so wie Grundschüler aus Problembezirksschulen Ausflüge aufs Land machen, um zu lernen, dass Milch aus echten Kühen kommt, so will das fortgeschrittene Ausgehbezirkskind auch sinnlich erfahren, wo ihre Lieblingsmuschel in der Tide schwappt.
Kinder, denke ich, sind so was Großartiges. Was für ein grandioses Leben sie mit ihren Eltern führen dürfen … In ihren Mägen die ganze Welt!
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