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Kolumne Bitches in Baku #11Der Erläuterer, der Analyst

Jan Feddersen
Kolumne
von Jan Feddersen

Verschwörungstheorien und andere Hinweise in Sachen Aserbaidschan. Mit dem Consultant Rashad Huseynli auf einem Stadtrundgang.

Die Uferpromenade in Baku. Bild: dpa

N ach zehn Tagen in Baku verfällt man auch in einen seltsamen Verschwörungsmodus. Dass das ZDF im Kabelangebot des Hotels nicht mehr empfangen werden kann – war das der Geheimdienst, weil die Regierung des Landes die deutsche Menschenrechtsberichterstattung geißelt und einer armenischen Einflüsterung zuschreibt?

Oder warum kommt keine Taxe – sind die auch alle verhaftet worden wegen hooliganesker Fahrweisen? Oder warum weht es nun so stark – will das Regime nun auch noch beweisen, dass Stürmisches der ESC-Übertragung nichts anhaben kann?

Ich treffe an meiner Herberge Rashad Huseynli, 34 Jahre alt, Bakuer. Ihn hat mir Sebastian Burger vermittelt, ein Bremer Architekt, der als erster in Deutschland über die Zerstörung von Häusern in Baku anlässlich des ESC berichtet hatte. Wir sind gleich per Du. Freundschaft! Rashad könnte mir die Stadt zeigen, frage ich – ja, gerne, das wollte er gern und sagte zu. Ja, der Bulvar, der sei mit dem ersten Ölboom des Landes, die Uferpromenade als größter Stadtpark Bakus, entstanden. Und dass es überhaupt in dieser knapp drei Millionen Einwohner zählenden Metropole Grünes gebe, liege an einer pfiffigen Idee im frühen 20. Jahrhunderts. Man importierte schwarze, fruchtbare Erde über die ins Kaspische Meer fließende Wolga – so wurde Baku auch über die UNESCO-geschützte Altstadt hinaus bewohnbar.

Bild: taz
Jan Feddersen

taz-Redakteur, Jahrgang 1957, schreibt als Journalist und Buchautor („Wunder gibt es immer wieder“) über den ESC seit 1989. Er bloggt auch auf eurovision.de für die ARD.

Dass der Bulvar nun bis zur drei Uferkilometern entfernten Crystal Hall verlängert wird, freut die Community der Stadt – und im Norden gebe es auch schon Pläne, diesen Catwalk erheblich zu verlängern. Ja, Aserbaidschan weise Defizite im Menschenrechtlichen auf. Er ist genauso betrübt wie ich selbst über die Nachricht, dass am Tag zuvor bei einer Demonstration mehrere Dutzend Menschen geprügelt, in Gewahrsam genommen oder wenigstens in Angst und Schrecken versetzt worden sind. Rashad kommentiert die drakonische Auflösung der Demo nicht, überhaupt sagt er nichts explizit zur Willkür der Regierung gegen ihre außerparlamentarische Opposition.

Rashad Huseynli äußert nur vorsichtig Kritik an Aserbaidschan. Bild: privat

Ohne Regung nimmt er auch zur Kenntnis, dass der Sprecher des Präsidenten eben verkündete, dass armenische Kreise in Deutschland für die Kritik an Aserbaidschan verantwortlich seien. Dieser Mann, studierter Germanist mit perfektem Deutsch, stimmt der Überlegung zu, in seinem Land sei es in den Jahrzehnten der sowjetischen Zeit eine Entwicklungsdiktatur gewesen. Und jetzt – eine Modernisierungsdiktatur? Könnte man sagen, meint er, als wir eben am Jungfrauenturm, Zeichen, dass dort die Altstadt beginnt, vorbeischlendern.

Dass der Islamismus in Aserbaidschan keine Chance habe, sei simpel zu erklären. Offiziell pflege man gute Beziehungen zu Teheran, in Wahrheit gebe es jede Menge Spannungen. Als wir diesen Vormittag gemeinsam verbringen, geht durch die Nachrichten, dass das theokratische Regime in Teheran die Regierung in Baku bezichtigt, durch den Eurovision Song Contest den Islam zu beschädigen, denn der ESC sei in Wahrheit eine Schwulenparade. Und eine solche sei unislamisch. Reichlich diplomatische Verwicklungen, Botschaftseinbestellungen und so weiter. Baku will nichts mit dem politischen Islam zu tun haben – das einigende Band ist Öl und immer weiter wachsender Wohlstand. Da soll jeder, so das Regime selbst nach dem Urteil ihrer Dissidenten, religiös glücklich werden wie er möchte. Synagogen, Kirchen, Moscheen – einerlei.

Rashad sagt, jeder könne ein Auslandsstipendium bekommen für ein Studium, bloß müssten nach einem Abschluss dann ein jeder fünf Jahre seine Qualifikation in Aserbaidschan einsetzen – ein Werkzeug gegen den Braindrain von Hochqualifizierten. Anders als Lettland etwa, wo Ingenieure oder Ärzte in Riga ihre Ausbildung absolvierten und ihr Geld lieber in Großbritannien oder Schweden verdienten. Die Dissidenten, so sagt er, haben berechtigte Anliegen – aber eine Rebellionsstimmung im Lande gebe es einfach nicht.

Er ist Analyst, kein Politiker

Expertisen der umsichtigsten Art haben ergeben, dass Präsident Aliyev eine fast 80-prozentige Zustimmung genieße. Geschätzt werde, dass da einer nach dem Zerfall der Sowjetunion Ordnung in die Gesellschaft gebracht habe. Rashad betont, er habe nicht zu urteilen, aber er muss sich einen Reim machen auf das, was ist. Er ist Analyst, kein Politiker. Arbeitet auch für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Er deutet die Zahlen sehr korrekter Umfragen: Das autokratische Regime genießt in Aserbaidschan sehr breites Einverständnis. Die Armutsrate sei nach internationalen Kriterien von 20 Prozent vor zehn Jahren auf knapp sieben Prozent gesunken. Die Mindestrente liegt oberhalb jenes Betrags, der in der Slowakei garantiert werde – 250 Euro. Die Mittelschicht ist auf dem Wege, zum tragenden Milieu des Landes zu avancieren.

Rashad, der im Teehaus, das wir besuchen, selbstverständlich bezahlt, weil es, Ehrensache, so Sitte sei in seinem Land und die Gegeneinladung nach Berlin freundlich annimmt, verweist auf die vielen jungen Menschen in Baku, die gern auf ihr Land stolz sind. Es ist klein, so sagt er, es sucht seinen Platz in der Welt und muss mit bizarren Nachbarn auskommen. Weder will es iranisch werden noch wieder sowjetisch noch möchte es ein Appendix der Türkei werden. Man teile einfach nicht deren Verständnis vom Religiösen.

Aserbaidschan, so sagt er, habe auch seine rückständigen Provinzen, aber dort ginge es nicht so archaisch zu wie in den letzten Gegenden Anatoliens. Er führt mich schließlich zur zweiten Altstadt, erbaut Anfang des 20. Jahrhunderts, Gründerzeit auf Aserbaidschan. Wie in Mitteleuropa sieht man prächtig verzierte Häuserfassaden bürgerlichen Selbstbewusstseins, zugleich gehen sie rott, an den Fassaden sieht man brüchige Elektrokabellagen. In den Hinterhöfen wohnen in italienisch anmutenden Szenen sehr viele Familien in kleinen Wohnungen – oft nur notdürftig sanitär ausgestattet. Neue Wohnhäuser gelten als attraktiv. Und doch, so Rashad, wollen viele nicht aus ihren Herbergen – so beengt sie auch sein mögen. Sie wollen in einem Quartier mit Seele leben, was nur um den Preis des Verzichts auf moderne Standards geht.

Rashad Huseynli ist ein sehr freundlicher, kundiger und weiser Analyst und Erläuterter und Patriot seiner Heimat, seiner Stadt, seines Landes. Er wünschte, es würde so werden wie dort, wo er studiert hat. Aber in gewissen Zeiten, er traut es sich kaum zu formulieren, erwarte eine Gesellschaft einen starken Boss an der Spitze. Die Freiheit nach der sowjetischen Zeit hätten viele als Freiheit zum Schusswaffengebrauch, zum Faustrecht missverstanden. Eine gewisse Phase müsse jetzt womöglich in Kauf genommen werden, dass es nicht westlichen Standards entspreche.

Aber er hegt starke Hoffnungen. Das werde schon alles, sagt er. Die Proteste gegen die aserbaidschanischen Menschenrechtsverletzungen mögen helfen. Hauptsache, sein Land werde nach der Eurovision Song Contest nicht genauso schnell wieder vergessen wie es einigen Kurzfristinteressierten in den Sinn gekommen sei. Wir geben uns die Hand. Danke!

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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2 Kommentare

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  • G
    Grammatiknazi

    liest eigentlich bei der TAZ noch jemand Korrektur, dieses Deutsch ist einfach unterirdisch!

  • G
    günni

    günni fühlt isch erhört und sagt, RESPECT, JF