Kolumne Bio: Die neue Pille für die Ausgebrannten
Manche denken beim „Guten Leben“ nur noch ihren eigenen Bauch – das gute Essen, Yogakurs, Innerlichkeit. Der Begriff ist zum Fetisch geworden. Und das Erbe von Petra Kelly wird beschmutzt.
G estern habe ich das letzte Möbelstück aufgestellt. Die Anleitung – unverständlich kleinteilig – verursachte permanenten Stress. Stundenlang kämpfte ich mit dem Schuhschrank, doch nun ist er an drei Ecken fixiert. Endlich: Die Module meines Lebens sind fertig. Farbschema A, Stimmung B, Bild C, Musik D – alles perfekt angerichtet.
Das gute Leben! Wie ein Fisch im Wasser kann ich mich in meinem neuen Zimmer fühlen und mich freuen. Nur der Weg in den Ostflügel, in dem sich die Küche befindet, der ist nun weiter geworden.
Aber das gute Leben ist ja nicht nur „das gute Essen“. Wäre ja schön einfach: Wir essen alle gutes Essen und retten damit die Welt! Esst, was euch schmeckt, seid glücklich und erlöset die Menschheit in glückselig-einiger Sattheit! Das wäre schon mal was; allein, man ist sich ja nicht mal einig, was überhaupt „gutes Essen“ sein soll. Außerdem verhindert das Wirtschaftssystem oder irgendeine andere böse Macht, dass Alle gutes Essen haben. Schlimm!
ist Autorin der taz.
Rainald Grebe sang: „Da steht das gute Leben vor dem Kühlregal“ - und macht sich damit über die Umdefinierung des Begriffs in manchen Öko-Kreisen lustig. Laut taz bzw. Marieluise Beck von den Grünen konnte Partei-Ikone Petra Kelly nicht gut gelebt haben, denn sie ernährte sich ja „von Käsekuchen und Cola“. Sie war „oft gehetzt“, nervte also ihr Umfeld - wahrscheinlich mit Gedanken über Politik.
Vielleicht ist diese Fetischisierung des guten Lebens eine gemütliche Pille für Ausgebrannte auf der Suche nach neuen Erfahrungen. Die sitzen dann beim tazKongress im Kretschmann-Panel, lachen bei debilen Witzen über den Länderfinanzausgleich, und glauben, dass Kinder in der Schule heute wirklich lernen müssen, wie man über ein iPad wischt.
Kinder und Erwachsene müssen heute lernen, was unsere Computerwelt zusammenhält. Da hilft es mehr, sich für seinen Computer zu interessieren, Informationen zu googeln, in der Wikipedia zu lesen, mal einen Text ins Internet zu schreiben oder Programmiersprachen zu lernen. Die Piratenpartei könnte das rüberbringen. Wenn Christopher Lauer von den Piraten wie beim taz-Kongress auf seinem Handy spielt, während er in Diskussionsrunden sitzt, zeigt er vielleicht genau das: Dezentralität, andere Arbeitswelten, die Auflösung von Strukturen, Kontinuumzeit, Freude am Defragmentieren. Warum nicht so?
Aber das nur nebenbei. Ich schweife ab – und es war ja auch nicht alles schlecht beim taz-Kongress. Für mich selbst war es sogar das pure gute Leben: Zuerst machte ich eine unverständliche Banner-Aktion. Hing mit den Onlinern rum. Später traf ich Christian Ströbele, der mir auf mein grimmiges „Na, wie findst du‘s hier mit den ganzen Ökos?“ ein relaxtes „das ist Familientreffen hier“ entgegensetzte. Das machte mich glücklich. Abends trank ich viele Biere und verkleidete mich als Eule.
Schuhu! Be what you want. Oder eben, klassisch: Her mit dem schönen Leben!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich