Kolumne Besser: Danke, Bayer AG!
Lachen. Über Graffiti. Über Demoparolen. Brüllen. Singen. Sprühen. Lachen. Eine Stadt. Im Ausnahmezustand. Der Abschied von der Republik Gezi.
D er Moment, als die letzten paar hundert Leute von der Polizei aus dem Gezipark vertrieben werden. Dicht aneinandergedrängt und in Schwaden von Reizgas gehüllt, kaum mehr als zwei Meter Sicht, dabei trotzdem darauf achtend, auf den Gehwegen zu bleiben und nicht die selbstgepflanzten Blumenbeete zu betreten. (Klingt kitschig. War aber so.)
Einander wildfremde Menschen, die sich nach der Räumung des Platzes irgendwo in der Stadt begegnen und plötzlich ein gemeinsames Thema haben. Erfahrungen austauschen, die einander ähneln, die davon zeugen, Teil von etwas Wunderbarem gewesen zu sein. Der Blick nach vorn: Wie geht’s weiter? (Es muss doch weitergehen. Das kann nicht alles gewesen sein.)
Höchstens 20-jährige Mädchen und Jungs, die dir das Gesicht mit Talcid-Lösungen abwischen, um die Wirkung des Reizgases zu lindern. (Danke, Kinder. Danke, Bayer AG.)
Die Kolleginnen und Kollegen von deutschen Zeitungen, die in einem Hotel am Park ein gemeinsames Büro errichten. Ohne das übliche Konkurrenzding. Und ohne sich groß um so etwas wie „objektive Berichterstattung“ zu scheren. (Einseitig, gewiss. Aber wenn Polizisten aus zwei Metern Entfernung Gummigeschosse auf Menschen abfeuern, ist das ebenfalls eine ziemlich einseitige Sache.)
ist Redakteur der taz.
Lachen. Über Graffiti. Über Demoparolen. („Nieder mit manchen Sachen!“) Selbst welche erfinden. Brüllen. Singen. Sprühen. Lachen. (Almancılar burada, Tayyip nerede?)
Eine Stadt. Im Ausnahmezustand. Die große Party im Gezipark und auf dem Taksimplatz, das normale Geschäfts- und Nachtleben auf der Istiklal. (Es gibt ein nicht so ganz falsches Leben im Falschen.)
Polizisten auf dem Taksimplatz am Rande eines Klavierkonzerts im Gespräch mit Demonstranten: „Hast du jemals einem Klavierkonzert gelauscht?“ – „Nein, noch nie. – „Und, ist das hier gerade nicht toll? Ein Klavierkonzert auf einem öffentlichen Platz?“ – „Ja, es gefällt mir sehr.“ – „Aber so was wird es in diesem Land nicht mehr geben, wenn ihr diesen Kampf gewinnt.“ (Hat er später weniger Gaspatronen verschossen; hat er in die Luft gezielt anstatt direkt auf Menschen?)
Die Jungs von Çarşı, die eine Art Eingreiftrupp bilden, weil sie glauben, du bist in einer schwierigen Situation, und dich da rausprügeln wollen. (War nicht nötig. Trotzdem Danke, Jungs. Ihr seid rührend.)
Ein bescheuerter deutscher Akzent (das R, das nicht rollt), der zum ersten Mal zu etwas nützlich ist. (Was fragst du so, bist du ein Polizist oder zivil? – Schon mal einen Zivilpolizisten mit so einem Akzent gesehen? – Na siehste.) Reden. Mit Linken, mit Kemalisten, mit Kurden, mit Schwulen und Lesben, mit Ultras, mit der 90er-Generation, mit Bankern, Arbeitern, Muslimen.
Die endlosen Diskussionen nach der Räumung des Geziparks. Der Anfang: Einer steht auf und ruft, man solle doch bitte den Müll aufsammeln. (Selbst die Kippenstummel werden mitgenommen. Ist das nicht etwas übertrieben?)
Die jungen Leute in der Provinz, die sich freuen, dass jemand gekommen ist, um ihnen zuzuhören. (Nein, zuhören heißt nicht zustimmen.)
Die vielen Menschen, bekannte und unbekannte, die ihre Wohnungen öffnen. Manchmal ein Gästezimmer, meist aber Sofas, jede Menge Sofas. (Kommt doch mal zu uns, wir haben auch eins.)
Der schwule Freund, der im Baumkostüm mit pinkfarbenem Helm und Megafon zwei Stunden lang die Menge anführt. (Immer noch nicht müde? – Ich könnte tot umfallen. Mach ich aber nicht.)
Der letzte Abend. Endlich Fisch. Endlich Raki. (Şerefine Tayyip.)
Ein letzter Text. Dann noch eine allerletzte Verabredung, ein letzter Abschied. Abends der Flug.
Besser: Zurückkehren. Bis dahin: Hoşçakalın çocuklar.
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