Kolumne Besser: Schön warnen, mahnen, fordern
Wie kriege ich es hin, dass mein Scheiß gedruckt wird und nicht der eines anderen? Eine Handreichung für junge Journalisten.
L iebe Kinder,
ganz gewiss habt ihr im Laufe eurer Ausbildung sämtliche 854 Standardwerke, die der große Wolf Schneider zur deutschen Sprache verfasst hat (u.a. „Deutsch für Profis“, „Deutsch für Kenner“, „Deutsch für Penner“) bis zur letzten Fußnote studiert. Bei ihm, dem Sprachpapst bzw. Stilpapst bzw. Journalistenpapst, habt ihr gelernt: Verben super, Adjektiv kacke. Noch mal: Verben super, Adjektive kacke. Und alle zusammen: Verben super, Adjektive kacke.
Aber – Obacht, liebe Kinder, dieses Aber, das ihr gerade gelesen habt, war kein Allerwelts-, sondern ein echtes Profi-Aber; eines von der Sorte, mit der Journalisten gern in Anlehnung an eine dramaturgische Figur, welche Franz Kafka („Der Prozess“) einst eingeführt und Eduard Zimmermann („Der kurze Prozess“) später zur Vollendung gebracht hat und derzufolge es das Idyll, das gleich von schrecklichem Unheil heimgesucht werden wird, zunächst kurz, wirklich nur ganz kurz, zu schildern gilt, sodass der Schmerz über dessen unwiderrufliche Zerstörung noch schmerzhafter wird, ihre Geschichten präsentieren; ein Aber, das man, damit es seine volle Wirkung entfalten kann, gedanklich in die Länge ziehen muss, und das bei Profis etwa so klingt:
„Sommer, Sonne, Sonnenschein. Aaaaaaaber über dem Nordatlantik braut sich ein Tief zusammen.“ Oder: „Sommer, Sonne, Sonnenschein. Aaaaaaaber die Sonnenstrahlung birgt eine unterschätzte Gefahr. Aaaaaaaber der Herbst steht schon ante portas. Aaaaaaaber was ist mit den Kindern in Afrika? Aaaaaaaber wer soll das bezahlen?“
ist Redakteur der taz.
Die Top-Verben des deutschen Zeitungswesens
Nach diesem ebenfalls lehrbuchhaften Exkurs wenden wir uns also mit genau so einem und keinem anderen Aber den Weisheiten des Wolf Schneider zu: Verben super, Adjektive kacke.
Aaaaaaaber welche Verben muss ich benutzen, damit mein Geschichte a G’schicht wird, damit meine Nachricht einen Nachrichtenwert bekommt, kurz: damit mein Scheiß gedruckt wird und nicht der eines anderen, der auch nicht besser ist als ich?
Wie die meisten Dinge im Leben ist auch das keine Ansichtssache, sondern in unzähligen Studien aus dem Institut für Studien erforscht und mit Zahlen und Daten und Grafiken und Tabellen belegt.
Und hier sind sie, die Top-Verben des deutschen Zeitungswesens:
1. Warnen: Experten warnen vor schlechtem Sex. Experten warnen vor schlechtem Essen. Experten warnen vor schlechter Laune. Von selbst würde nämlich niemand darauf kommen, dafür gibt’s schließlich Experten. Ihr müsst nur einen finden, der vor irgendwas warnt, ganz gleich vor was, die 100 Zeilen und das Lob des Abteilungsleiters sind euch sicher.
2. Mahnen: Weicher als das Warnen, aber moralisch wertvoller und für jedermann zu haben: Hausmeister mahnen zur Ordnung. Lehrer mahnen zur Ruhe. Apotheker mahnen, die Packungsbeilage zu beachten.
3. Fordern: Irgendein Wichtigtuer, der dit oder dat fordert, findet sich immer. In der größten Not macht ihr es wie die Profis. In der größten Not fragt ihr Hans-Olaf Henkel.
4. Empören: Wenn ihr Henkel nicht kriegt, macht ihr es wie die Profis. Wenn ihr Henkel nicht kriegt, fragt ihr Sahra Wagenknecht. Achtung: Dann nicht vergessen, das Verb anzupassen! Aber etwas fordern kann jeder geistlose Bürokrat. Um sich zu empören, bedarf es schon Herz. Oder einer schrillen Stimme.
5. Klagen: Wie Empörung, nur in Moll. Gerne benutzt bei Eltern, Anwohnern und Bügelopfern aller Art. Extrem hoher Emofaktor!
Besser: Verben benutzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos