Kolumne Besser: Liebe Kurden, seid nett zur Autobahn
Die kurdische Bewegung steht vor einer historischen Chance, die langersehnte Anerkennung zu erfahren. Aber weiß sie das eigentlich?
E s war eine kleine Meldung, die die syrisch-kurdische PYD Mitte September, also noch vor dem Angriff des „Islamischen Staates“ auf die Grenzstadt Kobani, verlautbarte. Gemessen an der Dramatik der Ereignisse eine Kleinigkeit. Aber eine, die die Umwälzungen in der Region auf nachgerade bizarre Weise zum Ausdruck brachte. Die Meldung lautete: Angehörige der „Volksverteidigungseinheiten“, also des bewaffneten Arms der PYD, hätten eine Gruppe von Dschihadisten aus Europa beim illegalen Grenzübertritt festgesetzt.
Weil es so schön ist, noch einmal: Die Türkei, Mitglied der Nato und offiziell noch immer EU-Beitrittskandidat, lässt die Dschihadisten ungehindert passieren, während der örtliche Ableger der international als Terrororganisation eingestuften PKK die türkische Grenze bewacht. The Times there are a changin’.
Die AKP hat in den vergangenen Wochen noch die letzten Dinge verspielt, die man ihr zugutehalten musste: Die Zurückdrängung des Militärs? Die Regierung ließ in mehreren Provinzen Panzer auffahren, um die Proteste gegen die Syrienpolitik der Türkei zu unterdrücken. Die Aussöhnung mit der PKK? Diese sei genauso eine terroristische Organisation wie der IS, ließ Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan jüngst wissen.
Die Türkei verliert Ansehen, die PKK gewinnt
Für ihre neo-osmanischen Großmachtsphantasien, für die kein türkischer Politiker so steht wie der langjährige Außenminister und jetzige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, hat das AKP-Regime sehr viel riskiert, nicht nur die Aussöhnung mit den Kurden, sondern auch die Rolle der Türkei als Teil der westlichen Welt. Selten war es um die Reputation der Türkei so schlecht bestellt wie heute.
Ganz anders die Lage der PKK. Schon ihre Gesprächsbereitschaft mit der Regierung brachte ihr Sympathien ein. Durch die Gezi-Proteste hat ein Teil der türkischen Gesellschaft angefangen, Empathie für die Kurden zu entwickeln. Und inzwischen hat es sich herumgesprochen, dass die PKK nicht länger einen eigenen Staat fordert, selbst wenn diese Erkenntnis noch nicht bei allen deutschen Medien angekommen ist.
Vor allem aber haben die PKK und die PYD durch ihren Kampf gegen die Dschihadisten internationale Anerkennung erfahren, durch ihre Rettung der Jesiden aus den Sindschar-Bergen und durch ihre – man muss es so sagen – heroische Verteidigung von Kobani. Ein kleines, aber sichtbares Zeichen für veränderte Bewertung: Auf der Kundgebung am Samstag in Düsseldorf wehten etliche Fahnen der PKK und ihres Anführers Abdullah Öcalan, ohne dass die deutsche Polizei eingeschritten wäre.
Die Frage ist nur: Ist sich die PKK dieser historischen Situation bewusst?
Brennende Fahnen
Die Führung der Guerilla offenbar ja, ebenso die Führung der legalen, prokurdischen Schwesterparteien DBP und HDP. Nur hat sie sichtlich Schwierigkeiten, dies ihrer Basis zu vermitteln. Das zeigen die Ereignisse der vergangenen Woche in der Türkei. Die meisten der 33 Todesopfer wurden zwar von nationalistisch-islamistischen Lynchmobs getötet. Allerdings gab es auch Fälle, in denen Anhänger der PKK Islamisten zu Tode prügelten. Außerdem gab es den Mord an drei Polizisten in der südostanatolischen Stadt Bingöl, auch wenn es nicht klar ist, ob für diese Tat tatsächlich, wie von türkischen Behörden behauptet, Anhänger der PKK verantwortlich sind.
Und schließlich gab es Bilder mit hohem symbolischem Wert: Die Atatürk-Statue, die kurdische Demonstranten im Istanbuler Stadtteil Esenyurt in Brand setzten, und die türkischen Fahnen, die in mehreren Städten bei den Protesten verbrannt wurden. Davon hat sich der HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtas zwar distanziert und angedeutet, dass dafür Agents Provocateurs verantwortlich sein könnten. Andererseits muss er wissen, dass es in den Reihen seiner Partei genug (junge) Leute gibt, denen das zuzutrauen wäre. Nun könnte man einwenden, ein paar brennende Nationalfahnen seien eine Lappalie. Aber das sehen viele Türken nicht so.
Was den Türken ihre Fahne, ist den Deutschen ihre Autobahn. Als vorige Woche kurdische Demonstranten sich in Hamburg Straßenschlachten mit Salafisten lieferten und die Gleise des Hauptbahnhofs besetzten, fühlte man sich in Deutschland an die neunziger Jahre erinnert, an gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei und an Autobahnblockaden. In so einer Situation eher kontraproduktiv.
Besser: Die kurdische Bewegung ergreift diese historische Chance. Voraussetzung dafür: Sie ist nett zu deutschen Autobahnen.
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