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Kolumne Berliner GalerienIm Zerfall begriffen

Kolumnistin Jana Janika Bach empfiehlt Skulpturen bei Esther Schipper, Filme bei Wentrup und Aquarelle bei Nagel Draxler.

Francesco Gennari, „Greetings from the Moon“ (Installationsansicht), Esther Schipper, Berlin; Courtesy: the artist and Esther Schipper, Berlin Foto: Andrea Rossetti

D ie Welt geht in Stücke. Zum Beispiel vor der Antarktisküste, wo Abbrüche riesiger Eismassive zu verzeichnen sind. In ähnlichem Zustand befindet sich das Werk „The Degeneration of Parsifal“ in der Galerie Esther Schipper. Allerdings fertigte Francesco Gennari es nicht aus gefrorenem Wasser. Der weiße Brocken entstand aus 80 Kilogramm Mehl, gepresst zwischen acht Stahlklemmen in der Form eines Oktagons.

Einmal aus der Halterung gelöst, beginnt durch Einwirken von Zeit und Gravitation im Raum sein Zerfall. „Always me“ hingegen ist zweigeteilt, eine Metallstange, die in Zitronen- und Goldgelb glänzt. Auch der Ring aus grünem Muranoglas, „I Almost Feel Like …,“ und der Bronzeabguss des Lieblingshemds Gennaris verweisen auf die physische oder psychische Verfassung des Künstlers – der, längst als demiurgisches Wesen entfleucht, das eigens erschaffene Reich sich selbst überlassen hat.

Gerüste und Grenzzäune

Wie Zurückgelassene wirken auch die Protagonistinnen in Jesper Justs Videos. Zu sehen sind sie auf Screens in unwirtlichen Landschaften, eingefasst in ein Aluminium-Gerüst bei Wentrup. Letzteres ist eine Hommage an das Architekten-Kollektiv „Superstudio“, das einst die Stahl- und Betonbauten verspottete und vorschlug, den ganzen Globus mit einer „Megastruktur“ zu überziehen.

Just konzipiert und demontiert, ob er ein Mädchen an der Fassade des One World Trade Centers mitten in Manhattan filmt oder Kim Gordon im Tutu, die einen Stock über die rostbraunen Balken des Zauns am amerikanisch-mexikanischen Grenzstreifen gleiten lässt.

Dann schaut Dree Hemingway noch in Lolita-Manier in die Kamera, während sie, ihre Arme in Gestellen, einen Maiskolben isst. Rührend-komisch und traurig ist es, wie sie in dieser Pose an die Food-Selfie-Videos der „Insta-Girls“ erinnert.

Staub für Europa

Die Ausstellungen

Esther Schipper, Potsdamer Str. 81e, dienstags bis samstags 11–18 Uhr, bis 14. April

Wentrup, Tempelhofer Ufer 22, dienstags bis samstags. 11–18 Uhr, bis 16. April

Nagel Draxler, Weydingerstr. 2-4, dienstags bis samstags 11–18 Uhr, bis 14. April

Ein anderer Trend spaltet ebenso, die König-Hoodies werden verlacht oder geliebt. Nur, entscheidender als der Träger scheint die Botschaft zu sein. In „Europa“, der aktuellen Schau Luca Vitones in der Galerie Nagel Draxler sind keine Sterne zu sehen, nicht einmal das signifikante Blau.

Für seine monochromen Aquarelle löste Vitone Staub aus Räumen von Institutionen wie der Europäischen Zentralbank in Frankfurt oder dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg in Wasser, um damit auf Papier zu malen. Quintessenz: Auch große Ideen brauchen Fürsprecher, damit etwas von ihnen bleibt, und so unbedeutend ein Korn sein mag, selbst Staub besteht aus einer Vielzahl feinster, fester Partikel.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer donnerstags in der Printausgabe der taz

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Jana Janika Bach
Geboren 1983, ist tätig als freie Autorin und Journalistin unter anderem für die taz, die Schweizer NZZ und den Deutschlandfunk Kultur. Daneben schreibt sie literarische Texte, etwa für Hörspiel-Produktionen. Aktuell abrufbar ist der Podcast „Das System Söring“, der einen der aufsehenerregendsten Kriminalfälle der letzten Jahrzehnte erzählt und auf Platz 1 der True Crime Chartliste von Apple und Spotify landete. Auch für ihre Reportagen betritt sie gerne Neuland, egal, ob sie sich in New York oder Berlin auf Spurensuche begibt. Sie studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften, hier speziell Film- und Urban-Studies. Ihren Master in Kulturjournalismus machte sie an der Universität der Künste Berlin.

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