Kolumne Behelfsetikett: Könnte sich um eine Gefahr handeln
Man kann ja so blind sein. Dabei ist das Poltern der Koffer doch nicht zu überhören. Untrügliches Zeichen für die Ferienwohnung im eigenen Haus.
Jetzt ist mal so richtig Sommer vorm Balkon und ich kann die Balkontür kaum aufmachen. Gar nicht mal, weil es so elendig heiß ist. Ich sitze bei sommerlichen Temperaturen gern mit einem kühlen Getränk (meistens bloß Sprudelwasser) draußen – quasi mitten im großen alten Baum, der vor unserem Haus steht – und lese einen Roman oder gebe mich stundenlangen Hörbüchern hin. So lässt sich die Hitze aushalten. Ab und an fliegt mal ein Spatz vorbei, gibt einen Laut von sich und futtert von den Läusen im Blattwerk oder macht sonst was Ulkiges.
Eigentlich ein Idyll. Wenn nur der ganze Krach nicht wäre. Ich kann die Spatzen nicht mehr tschilpen hören!
Denn im Nachbarhaus wird seit ein paar Wochen das Dachgeschoss ausgebaut. Das nervt fürchterlich. Ich habe deshalb nicht mal mehr Mitleid mit den schwitzenden Bauarbeitern. Und vis-à-vis, auf dem alten Schlachthofgelände, direkt an der Landsberger Allee gelegen, sind doch tatsächlich Sanierungsarbeiten an gleich mehreren denkmalgeschützten Hallen im Gange. Mit schwerer Technik. Doppelt Lärm ist selbst mir einmal zu viel. Also bleibt die Balkontür zu. Und ich in der Wohnung.
Ich weiß ja, wer über Lärm in einer Großstadt meckert, ist schnell als Spießer abgestempelt. Aber Lärm verursacht Stress und vor allem schlechte Laune. Und gegen Baustellen und ihre negativen Auswirkungen ist der Bürger an sich machtlos.
Das galt auch lange für Ferienwohnungen, die sich nach und nach in der Stadt vermehrten wie die sprichwörtlichen Karnickel. Und bis Kurzem dachte ich, dass das nur ein Problem von anderen ist – der Ärger über eine Ferienwohnung im eigenen Mietshaus.
Die Anzeichen übersehen
Dabei hatte ich die Anzeichen einfach nur übersehen. Über mehrere Monate hinweg. Man kann ja so blind sein. Die allzu häufig wechselnden Gesichter im Treppenhaus, die Autos mit Kennzeichen aus ganz Deutschland und halb Europa, die ständigen Rollkoffer, die über den Hinterhof holperten, und das typische Geräusch, das sie verursachen und das ganz Berlin hassen gelernt hat. Erst als mich ein neuer Rollkoffer nach einem Namen im Seitenflügel fragte – und auch danach, wo der Seitenflügel ist (halt im Seitenflügel!) –, reimte ich mir was zusammen.
Dabei nerven mich seit Wochen immer wieder mal übertrieben lautes Stimmengewirr und trunkenes Gelächter in meinem Haus, mitten in der Nacht, unter der Woche, weil mich das aus dem Schlaf reißt.
Es ist doch so: Das Unterbewusstsein filtert routiniert die Töne und Laute in den Nachtstunden. Bekannte Geräusche werden als nicht bedrohlich eingestuft und man schlummert weiter. Neuer, unbekannter Lärm lässt uns abrupt wach werden, es könnte sich ja doch (evolutionshistorisch betrachtet) um eine echte Gefahr handeln.
Die Gefahr kommt aber immer nur aus ein und derselben Wohnung im Hinterhof. Dieser ist klein und wirkt wie ein Schallverstärker. Und weil die Stimmen mal Bayrisch und mal Schwäbisch und mal Italienisch und mal sonst was sprechen, ist klar: die Wohnung ist eine Ferienwohnung.
Will man ein Arschloch sein?
„Ist die denn angemeldet?“, fragte mich ein taz-Kollege, als ich davon erzählte, wie nervend ich eine Ferienwohnung im eigenen Haus empfinde. Denn seit Anfang August gibt es in Berlin eine Pflicht zur Registrierung von Ferienwohnungen. Und ohne eine offizielle Registrierungsnummer ist eine Ferienwohnung illegal. Ganz normale Mietwohnungen sollen nicht zweckentfremdet genutzt werden.
Es lässt sich über Airbnb angeblich leicht checken, ob eine Ferienwohnung im eigenen Haus als solche auch gemeldet ist. Der Kollege empfahl, aktiv zu werden, sollte sie illegal betrieben sein, und diese dann dem Bezirk zu melden.
Aber so ein Arschloch will ich nicht sein. Noch nicht. Denn beim Schimpfen über die Arschlöcher aus der Ferienwohnung kam mir nämlich eins in den Sinn: Ich bin demnächst auf Urlaubsreise in Lissabon und steige – natürlich – in einer stinknormalen Ferienwohnung mitten in der Altstadt ab. Ich bin also selbst eins.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“