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Kolumne Bayreuther FestspieleWie ein festgesaugter Parasit

Die letzten Tage Festspiel-Wallfahrt. Irgendwie hat man dabei das Gefühl, einem Dinosaurier beim Sterben zuzusehen. Und Klaus von Dohnanyi trägt immernoch die gepunkteten Hosenträger.

Götterdämmerung in Bayreuth. Nach dem letzten Akt leert sich das Festspielhaus rasant. Bild: dpa

Es ist Routine geworden: Schnell noch mal Libretto lesen, sich in den nächsten Fummel werfen, irritierte Blicke ernten für die Anreise per Fahrrad (ein Herr im Frack rief aber auch mal "Klasse!"), die Nebensitzer begrüßen, tief durchatmen und dann sitzen, hören, sehen, aushalten.

In der ersten Pause der Gang zum Klo, in der zweiten der Festspielsnack, eine fast schon obszön fleischeslustige fränkische Doppel-Brrodworscht im Brötchen. Am nächsten Morgen dann trotzdem nagender Hunger im Magen und Wagners Musik wie einen festgesaugten Parasiten im Kopf.

Donnerstag der "Siegfried". Inkarniert in seinem Sänger Christian Franz ist der ein relatives Debakel, scheint Franz doch kaum eine Melodielinie halten zu können und sich mit dem Trotz des Pubertierenden, den er darstellt, ins Sprechsingen retten zu wollen. Dass Regisseur Dorst ihn visuell als Witzfigur angelegt hat, mit nacktbäuchigem Fatsuit und einer stark an Pumuckl erinnernden Frisur, macht's nicht besser.

Um etwas zu tun zu haben, leihe ich mir ein Opernglas bei Frau Heuberger, die seit 1959 jeden Sommer mit ihrem Stand (und wahrscheinlich auch den immergleichen Gläsern) auf dem Hügel ist. Früher seien stets alle Mitarbeiter ihres Optikergeschäfts als Statisten dabei gewesen, "aber dann kamen die Beatles, und plötzlich war Wagner nicht mehr wichtig". Nur sie ist noch da und lässt mich als Pfand für das Glas lächelnd "einen heiligen Wagner-Eid" schwören.

Am Freitag Ausflug zur Eremitage ein paar Kilometer vor der Stadt, einer tollen kleinen Anlage, wo in einer campy Grotte der Venus das Wasser direkt aus den Brüsten spritzt. Der Bayernkönig und Wagner-Fan Ludwig II. wohnte hier später während der Festspielsaison und ließ eine ganze Reihe Bäume im Park stutzen, um allzeit freie Sicht aufs Festspielhaus zu haben. Diese Tradition müssen die Bäume bis heute erdulden.

Der Samstag ist der Tag des großen Finales, "Götterdämmerung", es ist hochsommerlich heiß. Der Einführungsvortrag das Pianisten Stefan Mickisch im Gemeindehaus ist seit Jahren Bayreuth-Kult. Als Mickisch in rollendem Fränkisch Hagen als "kotzbrockenartig" beschreibt und zum besseren Verständnis von Wagner-Opern die Asterix-Lektüre empfiehlt, hätte das Kurkonzert-Publikum fast so etwas gesagt wie "Sie kleiner Schlingel, Sie!".

Dann ein letztes Mal der Hügel. Für Ragnarök, das vorläufige Weltenende, scheinen sich die Damen sämtlich ihr Garderobe-Prunkstück aufbewahrt zu haben - nur Klaus von Dohnanyi trägt stoisch zum vierten Mal die gepunkteten Hosenträger.

Die Luft im Festspielhaus ist erdrückend, während des ersten Aufzugs umschwirrt mich penetrant eine Schmeißfliege. Siegfried geht am Wormser Hof Hagens Intrigen auf den Leim, wird ermordet, Menschen- und Götterburgen gehen in Flammen auf. Nur Brünnhilde sorgt für Hoffnung, indem sie den Ring endlich wieder in den Rhein wirft und Selbstmord begeht -- groß komponiert am Ende die von Raffgier und Machtgeilheit erlösende Kraft der Liebe.

Aber so richtig zu Tränen gerührt ist niemand -- zu zusammenhanglos und bar jeder gedanklichen Anregung die Inszenierung, zu mittelmäßig die Gesangsleistungen. Der Applaus ganz am Ende brandet auch tatsächlich nicht als Begeisterungswoge auf. Der Dirigent - mein Münchner Nebensitzer nennt ihn zärtlich "das Thielemännchen" - bekommt wieder deutlich am meisten davon ab. Linda Watson als Brünnhilde kann als stimmstarke Tremolier-Matrone einen Achtungserfolg verbuchen. Siegfried erntet auch Buh-Rufe, woraufhin er dem Publikum mit gleich zwei Fingern einen Vogel zeigt.

Innerhalb von 30 Sekunden leert sich dann das Festspielhaus. Bei allen scheint nach knapp 20 Stunden Hügel-Dasein Schluss zu sein mit der Lust auf gelegentliches Experten-Geplauder und repräsentatives Schampus-Nippen. Der Mond steht über der kleinen sympathischen Stadt Bayreuth, die Grillen zirpen und sind willkommene Abwechslung zum Blech des "Trauermarschs".

Nächstes Jahr wieder Festspiel-Wallfahrt? Lieber nicht. Man hat doch stark das Gefühl, einem Dinosaurier beim Sterben zuzusehen. Die Frischzellenkur, die Bayreuth bräuchte, würden die Halbschwestern wahrscheinlich noch nicht mal hinkriegen, wenn sie René Pollesch und Jonathan Meese gemeinsam für den neuen "Ring" 2013 engagierten.

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