Kolumne Bayreuther Festspiele: Wettbewerb der "Bravo"-Rufer

Im gediegenen Publikum gibt es einen Wettbewerb: Wer traut sich als erster mit sonorer Kennerstimme "Bravo" zu rufen? Ansonsten gab es keine Merkel aber einen schweißnassen Jogger.

Zombiehaftes Herumgestapfe in der "Walküre". Bild: dpa

Auf dem Hinweg zum Festspielhaus esse ich, um mich mit Kraft und Differenz vollzutanken, einen Dürüm Döner und tropfe mir auch gleich noch Knoblauchsauce auf die Nadelstreifenhose. Hoch auf den Hügel. Gemessen umwandeln meine Festspielmitbesucher bereits das Hohe Haus. Es ist kurz vor vier Uhr nachmittags. Man begrüßt sich mit "Guten Abend".

Der erste Aufzug der "Walküre" geht gut runter. Er läuft darauf hinaus, dass Siegmund und Sieglinde vor einem von Regisseur Tankred Dorst riesenhaft in den Hintergrund gehängten Vollmond Siegfried zeugen, obwohl sie wissen, dass sie Zwillinge sind! Die Sänger sind klasse, dem Orchester passieren keine Patzer, das dpa-Hochfeuilleton schwadroniert: Dirigent Thielemann "spannte einen weiten Bogen von aufbrausender Dynamik bis zu akribischer Feinarbeit an den Wagnerschen Motiven". Am Aufzug-Ende gibt es unter den Männern im Publikum einen Wettbewerb: Wer traut sich als Erster, noch bevor der Vorhang zu ist, mit extrasonorer Kennerstimme "Bravo!" zu rufen?

Dann kommt die erste Pause. Ich werde von meinem Nebensitzer zum Apfelkuchen ins Steigenberger-Festspielcafé eingeladen, eine Art Betriebskantine mit Plastikstühlen, und halte Ausschau nach Angela Merkel, sehe aber nur einen Handke-Lookalike.

Für den zweiten Aufzug tausche ich den Platz mit der Frau meines Nebensitzers, weil die beiden, von "Winterstürme wichen dem Wonnemond" animiert, gern ihre Knie aneinanderlegen möchten. So sitze ich dann neben Klaus von Dohnanyi, der einen feinen, gepunkteten Hosenträger anhat.

Anderthalb Stunden lang passiert auf der Bühne außer zombiehaftem Herumgestapfe und Frontalsingen nichts weiter. Nicht mal der Anblick des Orchesters bietet Abwechslung, da es von Wagner in den "mystischen Abgrund" verbannt wurde. Bleibt die perspektivisch gestaffelte Guckkastenbühne, die durchaus Sogkraft entwickelt, aber auch an das denken lässt, was man in anderthalb Stunden im Kino hätte erleben können.

Dann wieder Pause. 60 Minuten Zeit, um um das Festspielhaus zu spazieren, zwischen Menschen, die durchschnittlich 143 Euro pro Karte bezahlt haben, durchschnittlich 65 sind und ein Collier aus Plastiksteinen misstrauisch beäugen. Gesprächsfetzen. "Der Wotan war schlichtweg fantastisch." "Ich wollte dieses Jahr nicht kommen, kann aber einfach nicht wegbleiben." "Schatz, hast du gesehen, da hinten sind die Schönhubers." Fränkisch, Münchnerisch, Wienerisch, Japanisch, Französisch. Dann treten die Bläser auf den Balkon und spielen zum Pausenende das Walhall-Motiv. Ergriffen schauen die Festspielgäste sogar hier noch auf und applaudieren frenetisch.

Beim Walkürenritt im 3. Aufzug bekomme ich wider Willen eine Gänsehaut. Sehr viel später, als Brünnhilde mit der großartigen "Feuerzauber"-Musik in magischen Schlaf versetzt wird und der Kunstnebel wallt, kommt das Erschauern noch mal wieder. Es ist kurz vor zehn und tatsächlich vorbei. Vor dem Festspielhaus steigt ein schweißnasser Jogger in sein Auto, das mit Graffiti für Downhill-Biking wirbt. Er wohnt in einer anderen Welt.

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