Kolumne Barbaren in Bejing: Die Schweißdrüsen bleiben drin!
Einst war von den kleinen, feinen Spielen die Rede. Nichts da. In Peking ist alles für die Masse ausgelegt.
Mit sprießenden Bärten sind wir, zwei Olympiareporter der taz, in die chinesische Metropole gereist. Mit dem Antlitz von Barbaren. Wir haben uns freilich vorgenommen, sehr zivilisiert aufzutreten, zur Eröffnungsfeier zu gehen und jedem der 70.000 eilfertigen Olympiahelferlein ein Lächeln zu schenken. Wenn die Volunteers mit einem Winken um die Gunst der olympischen Gäste buhlen, dann eilen wir als Erste zu jenem Armrecker, der mit seinem Zeigefinger die Decke zu durchbohren scheint. Sogar die an den unsinnigsten Plätzen herumstehenden Ein-Mann-Posten der chinesischen Volksbefreiungsarmee wollen wir mit einem schmissigen "Ni Hao!" ("Guten Tag") von den Vorzügen des barbarischen Abendlandes überzeugen.
Abgekämpft und müde, wie wir unsere chinesische Gastgeberin im Osten Pekings erreichten, schaute sie etwas erschrocken drein und erklärte uns Bartmännern gleich nach der Begrüßungsformel, wo die nächste Wäscherei sei. Nun ja, es ist heiß und feucht in Peking, nichts für Mitteleuropäer, die in gemäßigten Zonen des Klimas hausen. Mit dem allergrößten Mitleid denken wir an Marathonläufer, die sich durch dieser atmosphärischen Brei, der täglich im Himmel über Peking und in anliegenden Fabriken gekocht wird, kämpfen müssen. Die Ausdauerspezialisten dürften einen Eimer voll Schweiß verlieren. Aber auch für dieses Problem findet sich im pragmatischen Peking eine Lösung: Wie wir gehört haben, kann man sich in einer Klinik recht kostengünstig Schweißdrüsen entfernen lassen. Für uns kommt so was nicht infrage, denn wir halten es mit dem deutschen Basketballtrainer Dirk Bauermann: "Besser als 12 Grad und Regen."
Das Internationale Olympische Komitee hat das dunstig-hitzige Grau über der Stadt in der vorolympischen Woche eingehend untersucht und festgestellt, dass so gut wie keine Luftverseuchung vorliegt. Angaben des Pekinger Umweltamts zufolge herrsche in diesen Tagen nur "leichte Verschmutzung", die Standards der Weltgesundheitsorganisation WHO würden eingehalten - naja, fast. Seit wir das wissen, wähnen wir uns an einem Luftkurort und inhalieren die Pekinger Schwaden in vollen Zügen. Aaah!
Unsere Gastgeberin Yu, die sich den schönen Vornamen Sabrina gegeben hat, findet die Olympischen Spiele nicht so toll. Sie hat ein paar alltägliche Probleme damit. Neulich wollte sie an einen malerisch gelegenen See fahren, fünf Stunden war sie unterwegs, aber als sie ankam, war der See gesperrt. Einfach so. Wegen Olympia. Gestern durfte sie auch nicht mit ihrem Auto fahren, weil ihr Nummernschild mit einer ungeraden Zahl endet und sie deswegen 24 Stunden nicht Gas geben darf. Viele Läden sind zu, in den U-Bahnstationen sogar sämtliche Verkaufsstände. Auf den Straßen ist so gut wie nichts los. "Das ist sehr eigenartig", findet Sabrina. Sie staunt über die wundersame Macht der Spiele. Olympia hat den chaotischen Verkehr abgeschafft, und wer weiß, was es noch möglich macht. Bestimmt wird mit Beginn der Spiele allerlei Lästiges liquidiert: Doping, Funktionärsreden und Schlechtwetter.
Olympia ist mächtig. Olympia ist groß. Sehr groß. In den olympischen Stätten zwischen dem Stadion, das Vogelnest genannt wird, und dem Schwimmstadion mit den blauen Waben verliert sich der Einzelne. Ganz klein wird er. Er schrumpft fast zu einem Nichts in den megalomanen Planspielen der Olympia-Architekten, die vorzugsweise aus dem barbarischen Westen gekommen sind, nicht aus China. Kilometerlang führen hybride Schneisen von Nord nach Süd, links und rechts riesige Betonquader, die sich nur in einer halben Stunde zu Fuß umrunden lassen - falls man Marathontempo anschlägt.
Es ist ein imperialer Baustil, mit dem sich die olympische Gesellschaft im Jahre 2008 umgibt. Lang ists her, dass IOC-Chef Jacques Rogge von kleinen, feinen Spielen gesprochen hat und Leipzig, das klitzekleine Leipzig, zur Kandidatur ermunterte. In Peking ist alles für die Masse ausgelegt, wenig fürs Individuum. Erschlagen von den Eindrücken, der Blick leer, irren die Ankömmlinge aus dem Westen durch die Landschaften des Sports und fragen sich, was aus dem Gelände des großen Anspruchs einmal werden soll. Peking mit seinen 17 Millionen Einwohnern wird wohl eine Verwendung für die sportiven Prunkbauten haben, auch nach der Inszenierung. Es wäre nur angemessen, wenn dieses Areal vom Volk okkupiert werden würde. MARKUS VÖLKER
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