Kolumne Back on the Scene: Zwischen Penetration und Tischgebet
Haben Heterosexuelle auch Sex? Oder machen sie nur Liebe?
W er weiß schon wirklich, wie er auf andere Menschen wirkt? Man kann in den Spiegel schauen, man kann sich selbst fotografieren oder fotografieren lassen – aber die Bilder, die man in den Köpfen der anderen erzeugt, man wird sie nie zu fassen bekommen. Mann kann sie nur bedingt gestalten, gar manipulieren.
So geht es auch den Homosexuellen: Sie können sich auf den Kopf stellen, eingetragene Lebenspartnerschaften eingehen, kilometerlang im Rahmen von Paraden durch Innenstädte laufen und mit Schlagbohrmaschinen hantieren: Am Ende bleiben meist die Bilder in den Köpfen der Menschen hängen, die den Stereotypen entsprechen.
Wenn Heterosexuelle mit dem Begriff Homosexualität konfrontiert werden, leuchtet in irgendeinem Hirnareal scheinbar automatisch der Begriff Analverkehr auf, gleich im Anschluss werden große Dosen von Stress- und sonstigen Hormonen und körpereigenen Drogen durch die Blutbahn gejagt und lassen den Heterosexuellen in Ambivalenz erschauern: Penetrationen an dunklen, verbotenen Orten. Verschwitzte Leiber winden sich in Orgienkellern. Stöhnen, Schreie. Unsägliches, Verbotenes, Finsteres und Schmutziges findet hinter verschlossenen Türen statt – faszinierend und beängstigend zugleich, doch wer auf Nummer sicher gehen will – weiterhin sicher sein will, das Richtige und Gebotene zu tun, wird nun höchstens kurz erröten und sich dann schamvoll abwenden.
ist Redakteur bei der Sonntaz.
In Abwehrhaltung gehen: Diese Türen sollen bitte verschlossen bleiben, denn gleich hinter ihnen könnte sich ein Abgrund auftun, der einen auf direktem Weg in die Hölle führt.
Aber wie ist das eigentlich, wenn Homosexuelle mit Heterosexualität konfrontiert werden? Ich versuche einen kleinen Bilderdurchlauf: Kinder, Kombi und Reihenhaus. Männer, die über Ytong-Steine debattieren, sich mit Sportverletzungen rühmen und im Haushalt helfen, indem sie staubsaugen. Frauen, die liebevoll und nachhaltig im Risotto rühren und stets darauf achten, dass die Blumen im Garten genug Wasser bekommen. Urlaube im vollgedrängten Family-Resort. Bausparverträge und Kita-Rallye. Funktionskleidung und Tischgebete. Vorort-Gartenfeste, bei denen jeder einen Salat mitbringt.
Bei diesen Bildern schlafen einem ja die Füße ein. Null Hormonkick, keine Schweißausbrüche. Fehlt was? Da fehlt was, aber was? Ach ja, klar: Sex! Warum kommen da jetzt überhaupt keine Sex-Bilder? Hallo! Wo kommen denn die Kinder eigentlich her? Ich frage einen heterosexuellen Kollegen. Er sagt: „Wenn man Kinder erzeugt, hat man keinen Geschlechtsverkehr, man macht Liebe.“
Ach so, klar.
Aber in dem Wort Heterosexualität versteckt sich doch auch das Wort Sexualität? Ich versuche es noch einmal mit Gefühl, irgendwas muss da sein: Zwangsprostitution, Vergewaltigung, Blow-Jobs, Swinger-Clubs, Bordelle, Genitalbeschneidung, Gang-Bang. Reeperbahn, Wohnwagen an Ausfallstraßen.
Geht doch.
Aber trotzdem: Irgendwas ist hier verrutscht mit den Bildern. Ich habe nichts gegen Analverkehr, aber ich habe auch eine Regenjacke von Jack Wolfskin im Schrank, gieße regelmäßig meine Blumen auf dem Balkon und kann gut Risotto kochen. Ob die Zeugung von Kindern nicht doch auch mit ungeschütztem Vaginalverkehr zu tun hat?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin