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Kolumne Back on the SceneZwischen Penetration und Tischgebet

Martin Reichert
Kolumne
von Martin Reichert

Haben Heterosexuelle auch Sex? Oder machen sie nur Liebe?

W er weiß schon wirklich, wie er auf andere Menschen wirkt? Man kann in den Spiegel schauen, man kann sich selbst fotografieren oder fotografieren lassen – aber die Bilder, die man in den Köpfen der anderen erzeugt, man wird sie nie zu fassen bekommen. Mann kann sie nur bedingt gestalten, gar manipulieren.

So geht es auch den Homosexuellen: Sie können sich auf den Kopf stellen, eingetragene Lebenspartnerschaften eingehen, kilometerlang im Rahmen von Paraden durch Innenstädte laufen und mit Schlagbohrmaschinen hantieren: Am Ende bleiben meist die Bilder in den Köpfen der Menschen hängen, die den Stereotypen entsprechen.

Wenn Heterosexuelle mit dem Begriff Homosexualität konfrontiert werden, leuchtet in irgendeinem Hirnareal scheinbar automatisch der Begriff Analverkehr auf, gleich im Anschluss werden große Dosen von Stress- und sonstigen Hormonen und körpereigenen Drogen durch die Blutbahn gejagt und lassen den Heterosexuellen in Ambivalenz erschauern: Penetrationen an dunklen, verbotenen Orten. Verschwitzte Leiber winden sich in Orgienkellern. Stöhnen, Schreie. Unsägliches, Verbotenes, Finsteres und Schmutziges findet hinter verschlossenen Türen statt – faszinierend und beängstigend zugleich, doch wer auf Nummer sicher gehen will – weiterhin sicher sein will, das Richtige und Gebotene zu tun, wird nun höchstens kurz erröten und sich dann schamvoll abwenden.

Bild: taz
MARTIN REICHERT

ist Redakteur bei der Sonntaz.

In Abwehrhaltung gehen: Diese Türen sollen bitte verschlossen bleiben, denn gleich hinter ihnen könnte sich ein Abgrund auftun, der einen auf direktem Weg in die Hölle führt.

Aber wie ist das eigentlich, wenn Homosexuelle mit Heterosexualität konfrontiert werden? Ich versuche einen kleinen Bilderdurchlauf: Kinder, Kombi und Reihenhaus. Männer, die über Ytong-Steine debattieren, sich mit Sportverletzungen rühmen und im Haushalt helfen, indem sie staubsaugen. Frauen, die liebevoll und nachhaltig im Risotto rühren und stets darauf achten, dass die Blumen im Garten genug Wasser bekommen. Urlaube im vollgedrängten Family-Resort. Bausparverträge und Kita-Rallye. Funktionskleidung und Tischgebete. Vorort-Gartenfeste, bei denen jeder einen Salat mitbringt.

Bei diesen Bildern schlafen einem ja die Füße ein. Null Hormonkick, keine Schweißausbrüche. Fehlt was? Da fehlt was, aber was? Ach ja, klar: Sex! Warum kommen da jetzt überhaupt keine Sex-Bilder? Hallo! Wo kommen denn die Kinder eigentlich her? Ich frage einen heterosexuellen Kollegen. Er sagt: „Wenn man Kinder erzeugt, hat man keinen Geschlechtsverkehr, man macht Liebe.“

Ach so, klar.

Aber in dem Wort Heterosexualität versteckt sich doch auch das Wort Sexualität? Ich versuche es noch einmal mit Gefühl, irgendwas muss da sein: Zwangsprostitution, Vergewaltigung, Blow-Jobs, Swinger-Clubs, Bordelle, Genitalbeschneidung, Gang-Bang. Reeperbahn, Wohnwagen an Ausfallstraßen.

Geht doch.

Aber trotzdem: Irgendwas ist hier verrutscht mit den Bildern. Ich habe nichts gegen Analverkehr, aber ich habe auch eine Regenjacke von Jack Wolfskin im Schrank, gieße regelmäßig meine Blumen auf dem Balkon und kann gut Risotto kochen. Ob die Zeugung von Kindern nicht doch auch mit ungeschütztem Vaginalverkehr zu tun hat?

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Martin Reichert
Redakteur taz.am Wochenende
* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien
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6 Kommentare

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  • J
    Jojas

    Ich habe nichts gegen Schwule, einiger meiner besten Freunde sind Schwule, aber das "(...)ich habe auch eine Regenjacke von Jack Wolfskin im Schrank (...)", das ist widerlich. Schämen sie sich!

  • K
    @Kratzbaum

    Helmut bist Du es?

    Wann kommst Du eigentlich wieder raus aus dem Knast?

  • D
    deviant

    Ich glaube, ganz so verkehrt ist das nicht mit den Bildern, bei mir persönlich sieht es ähnlich aus, nämlich, dass ich bei Homosexualität eher ein Bild von hartem (Anal-)Sex im Kopf habe (ohne Stress- oder sonstige Hormone auszuschütten) und bei Heterosexualität so ein Bild von langweiligem Missionars-Spießersex mit Licht aus und Tür zu...

     

    Was Sie, Herr Reichert, beschreiben, das dürfte historische Gründe darin haben, dass Homosexualität eben lange vor allem Sexualität war, während Heterosexualität eben Alltag war. Gehirne funktionieren eben so - die Frage ist, was in unserer pornoisierten Gesellschaft da das negativere Bild ist.

     

    @Rainer B.: Großartiges Zitat! :D

  • K
    Kratzbaum

    Auch als Hetero muss man nicht auf Analverkehr verzichten.

  • RB
    Rainer B.

    Alle Rechte auf Sex sind längst auf die Werbeindustrie übergegangen. Mit menschlichen Wesen hat das eh nichts mehr zu tun. Gut,- es gibt Leute, die aus Gründen, die ich noch nie nachvollziehen konnte, einen Kinderwunsch hegen. Die haben dann Sex, oder fahren nach Afrika, oder in eine italienische Klinik. Ich glaube es war Sigmund Freud, der einmal gesagt hat: "Die Überwindung des Ekels erzeugt Lust." Das würde auch erklären, warum Aktionärsversammlungen so gut besucht sind. Ich persönlich kann mir jedenfalls keinen Sex leisten und bleibe weiterhin überzeugter Wichser.

     

    "Der Geschlechtsverkehr hält meistens nicht, was die Onanie verspricht!" (Olaf Schubert)

  • T
    T.V.

    Iiiiih Vaginalverkehr!1 *Kopfkinobilder ausblend*