Kolumne Ausgehen und Rumstehen: Das große Adventsrauschen

Die Weihnachtszeit ist die Zeit der Rituale. Gut, wenn man auch seine eigenen Traditionen pflegen kann.

Frau Yma Sumac. Bild: Petra Gall

Alles was noch fehlt, ist der Schnee. Die ganze Weihnachtsdeko hängt jedenfalls schon, kalt ist es meistens auch, vereinzelt waren auch bereits vorfrühe Silvesterböller zu hören, zumindest in den Niederungen Neuköllns.

Ein eher privateres Ritual zur Vorweihnachtszeit ist das sogenannte Adventshören. Hören statt singen, ja. Das findet an den jeweiligen Adventssonntagen bei vier verschiedenen GastgeberInnen statt. Vorab wird ein Motto ausgegeben, und dann heißt es: Platten mitbringen und vorspielen, Lebkuchen, Kaffee und obskure Singles zum Thema der Woche.

Vorläufer dieser Idee war das in Süddeutschland gängige „Smoke & Play“, wo es allerdings mehr um den begleitenden Konsum von Rauschmitteln geht als um neue, möglichst noch ungehörte Musik, die die Partizipanten mitzubringen haben. So gesehen ist das „Adventshören“ die eher biedere Variante. Wobei sich auch hier mit den Jahren Verschleißerscheinungen zeigen – nicht mehr alle sind auf dem neuesten Stand, erweitern noch ihre Musikinteressen, zeigen Sinn für die damit verbundene Missionarsarbeit. Sei’s drum. Einfaches Quatschen mit musikalischer Begleitung kann auch schön sein.

Das Thema diesmal war denn auch schlicht „2013“. Alle brachten ungefähr die Musik mit, die sie oder ihn in diesem Jahr bewegt hat – in wirklichem Sinn aktuell war davon das wenigste. In meinem Fall waren das die neue Of Montreal, die Doledrums, der absolute Sommerhit „Get Lucky“ von Daft Punk samt Coverversion von Daughter und eine Platte der Schwedin Anna von Hausswolff, die sich übrigens nicht so genannt hat, weil sich das irgendwie deutscher und abgründiger und düsterer anhört. Nein, das ist tatsächlich ihr Name: Anna Michaela Ebba Electra von Hausswolff.

Ihre Musik löste denn auch zuerst Begeisterung aus. Sie klingt nämlich schön sakral, besinnlich, dunkel. Es ist einfach die Musik zur Jahreszeit, und gespielt wird sie zumeist auf ominösen Kirchenorgeln. Wie Beach House im Winter oder einfach: wie Beach House in besser. Das Problem für manche der Adventshörer war dann nur die Stimme. Ja, es ist das Kate-Bush-Problem: weibliche Exaltiertheit mögen oder nicht mögen. Also, ich mag es.

Die anderen haben dann eher andere Sachen mitgebracht. Es gab viel Psychedelisches, auch ganz ohne Rauschmittel, beispielsweise von den Heliocentrics oder den Wooden Shjips (die spielen heute im Berghain). Es gab jede Menge afrikanische Musik, als wenn Jarmuschs Film „Broken Flowers“ nicht doch schon einige Jahre her wäre – genau wie der kurzzeitige und weitgehend vergebliche Hype um Hi-Life, der vorwiegend ostafrikanischen Musik mit dem enthusiasmierenden Gitarrenpicking.

Und es gab eine rührend knisternde Single, die Xenia in einem Second-Hand-Laden gefunden hat, der sich in einem obskuren Hinterhof in Poznan, Polen, befand. Auf dieser Single singt die Peruanerin Yma Sumac (leider schon 2008 verstorben) in Begleitung irgendeines rumänischen Rundfunkorchesters; denn richtig, die Single stammt aus Rumänien.

Überhaupt Rumänien – das könnte doch mal ein neues Trendland werden! Fand man. Was ist da eigentlich kulturell so los? Gibt es noch anderes als Straßenmusik und rumäniendeutsche Schriftsteller?

Das Motto für den nächsten Adventssonntag steht übrigens noch nicht fest.

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