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Kolumne American PieDie Unpassenden aus der Zockerstadt

Jürn Kruse
Kolumne
von Jürn Kruse

Auf die Vegas Golden Knights hätte vor der Saison wirklich niemand gewettet. Nun stehen sie im Conference-Finale der nordamerikanischen Eishockey-Liga.

Ritter David Parron (m.) beim Versuch, Gegner aus San Jose zu umkurven Foto: ap

M isfits. So nennen sie sich. Übersetzt: die Unpassenden. Oder auch: die Außenseiter. Ist egal. Beides trifft auf die Spieler der Vegas Golden Knights zu. Sie sind die Außenseiter. Zumindest waren sie das. Vor der Saison. Damals, im September, als die Golden Knights vor ihrer ersten Spielzeit in der nordamerikanischen Eishockey-Liga NHL standen. Wer auf die Meisterschaft des Vegas-Teams setzte, bekam Quoten im dreistelligen Bereich. Die Golden Knights spielten bei den Wettanbietern in einer Liga mit den Arizona Coyotes oder den Buffalo Sabres. Doch während Coyotes und Sabres zeigten, was von ihnen erwartet wurde (nichts), stehen die Golden Knights nach einem 3:0 über die San Jose Sharks, das die Best-of-seven-Serie mit 4:2 besiegelte, im Western-Conference-Finale. Sie sind nur noch zwei Runden beziehungsweise acht Siege vom Stanley Cup entfernt.

Sie, die Unpassenden, eine Ansammlung all jener, die die anderen Klubs der nordamerikanischen National Hockey League (NHL) nicht mehr haben wollten oder zumindest nicht unbedingt brauchten. Seit Jahren laufen in der Zockerstadt in der Wüste Nevadas die Vorbereitungen für die erste NHL-Saison. Es wurde für 375 Millionen Dollar eine neue Halle gebaut und für 500 Millionen Dollar eine NHL-Lizenz erworben. Im europäischen Profisport würden die Eigentümer eines solchen Kunstprodukts sich nun dran machen, Spieler von ihrem Projekt zu überzeugen. Mit Geld.

Doch das geht in der NHL nicht. Der Transfermarkt ist ein geschlossenes System, das keine Ablösesummen kennt. Ein System, in dem lediglich getauscht wird. Aber die Golden Knights hatten ja nichts zum Tauschen. Deshalb wurde – wie immer wenn ein Team diesen Closed Shop betritt – ein Expansion Draft durchgeführt. Die groben Regeln: Jedes Team darf bis zu elf Spieler schützen, die sich der Neuling nicht krallen darf. Die Pittsburgh Penguins schützten etwa ihre Superstars Sidney Crosby und Jewgeni Malkin, die Washington Capitals Alexander Owetschkin, auch der Deutsche Leon Draisaitl wurde von seinen Edmonton Oilers geschützt. Außerdem durfte Vegas von jedem Team nur einen Spieler verpflichten.

Nackte Zahlen und der Aemerican Dream

Vegas bekam also 30 Spieler von 30 unterschiedlichen Klubs – und alle kamen aus der zweiten Reihe. Alle waren ihren Klubs nicht richtig wichtig. Als diese Spieler vor der Saison zusammen kamen, sammelte Stürmer James Neal die Handynummern ein. Kann ja nicht schaden, man kannte sich ja bisher kaum. Neal legte eine Chat-Gruppe an. Er nannte sie „Golden Misfits“. Es war wohl ein Witz. Es wurde ihre Identität. So geht laut NHL.com die Legende.

In Las Vegas spielen nur Profis, die die anderen Klubs nicht mehr haben wollten

In den USA braucht es ja neben den nackten Zahlen auch eine Erzählung, gerade wenn sie so sehr den American Dream verkörpert, wie diese Golden-Knights-Mannschaft: aus dem Nichts zum Titelkandidaten.

Dabei sind die nackten Zahlen schon beeindruckend genug: Vegas ist erst das dritte Team, das in seiner Premierensaison das Conference-Finale erreicht hat. Sie haben mit 51 Siegen in 82 Spielen in der regulären Saison mehr Triumphe gefeiert als jeder andere Liganeuling vor ihnen. Sie haben mit ihrem 4:0-Sieg in der ersten Play-off-Serie gegen die Los Angeles Kings als erster Liga­neuling überhaupt einen Sweep geschafft. Und so weiter.

Die Aussortierten blühen in der Wüste auf. Reilly Smith sammelte in der Vorsaison bei den Florida Panthers 37 Scorerpunkte (15 Tore, 22 Vorlagen), in Las Vegas holte er in diesem Jahr 60 Punkte (22, 38). Alex Tuch durfte bei den Minnesota Wild nur sechs Mal aufs Eis, er holte keinen einzigen Scorerpunkt, bei den Knights sammelte er 37 Punkte (15, 22). Und William Karlsson, bei den Columbus Blue Jackets mit sechs Toren (und 19 Assists) nichts mehr als ein Mitläufer, schoss für die Golden Knights 43 Tore – und holte 78 Punkte. Dazu kommt der zweite Frühling des in Pittsburgh aussortierten Torhüters Marc-Andre Fleury. Und so weiter.

Im Conference-Finale treffen die Golden Knights nun auf die Winnipeg Jets oder die Nash­ville Predators. Das entscheidet sich in der Nacht von Donnerstag auf Freitag. Außenseiter sind die Golden Knights dann immer noch. Unpassend nicht mehr.

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Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
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