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Kolumne AfrobeatMasires Geheimnis

Dominic Johnson
Kolumne
von Dominic Johnson

Der G20-Gipfel hat Afrikas Erfolge ausgeklammert. Dabei gibt es welche – etwa in Botswana. Ex-Präsident Masire hat ein ganzes Land verändert.

Sein Tod blieb in der weißen Welt weitgehend unbemerkt: Khetumile Masire Foto: reuters

W o wird afrikanische Geschichte gemacht? Nicht beim gerade beendeten G20-Gipfel in Hamburg, wo das von Deutschland ausgerufene „Schwerpunktthema“ Afrika gerade einmal eines von drei Themen in einem einzigen Programmpunkt am Ende des Vormittags des zweiten Tages gewesen ist, zusammen mit Migration und Gesundheit. Das passt zum Bild Afrikas als Kontinent, von dem vor allem Ärger in Flüchtlingsgestalt und Gefahr in Seuchengestalt ausgeht, was man mit vagen Ankündigungen von Marshallplänen, Investitionszusagen und Hilfsversprechen abstellen will.

Wer zuletzt einen Finger an den Puls Afrikas legen wollte, musste nach Botswana blicken, wo am 29. Juni der ehemalige Präsident Khetumile Masire zu Grabe getragen wurde. Masire ist in Europa so gut wie unbekannt, sein Tod im Alter von 91 Jahren und Staatsbegräbnis blieben in der weißen Welt weitgehend unbemerkt. Aber im südlichen Afrika mit seiner gemeinsamen Geschichte des Leidens unter rassistischer Unterdrückung und des Widerstands ist er ein stiller Held.

Masire regierte Botswana als Präsident von 1980 bis 1998, davor war er ab 1966 Vizepräsident gewesen. Botswana, ein großes, dünnbesiedeltes Land mit Diamanten und Elefanten mitten in der Kalahari-Wüste zwischen Simbabwe, Namibia und Südafrika gelegen, ist hierzulande durch die Kriminalromane von Alexander McCall Smith bekanntgeworden, und jüngst durch den Rührfilm „A United Kingdom“ über die weiße Ehefrau des ersten Präsidenten Seretse Khama, dessen Vize Masire war.

Von Südafrikas Hauptstadt Pretoria ist die botswanische Grenze nur eine kurze Autofahrt entfernt. Als Botswana 1966 die Unabhängigkeit von Großbritannien errang, war es ein schläfriges Reservoir von Wanderarbeitern, ökonomisch abhängig von den Gegnern ringsum, lauter weiße Terrorregime. Es hätte ein Elendsland bleiben können, vergessen außer bei Hungersnöten. Aber Botswana gilt heute als Vorbild für gute Regierungsführung, für umsichtigen Umgang mit Bodenschätzen und für politische Stabilität und Integrität. Das liegt nicht zuletzt an Masire, dessen 18jährige Zeit als Präsident eine ganze Ära umspannt. Als er sein Amt antrat, war die Apartheid noch auf ihrem Höhepunkt und das halbe südliche Afrika befand sich im Krieg. Als er abtrat, war die weiße Minderheitsherrschaft überall beendet.

Botswana war dem schwarzen Widerstand wichtig

Botswana überlebte Südafrikas Apartheid durch kluges Stillhalten. Es stellte sein Territorium nie als Rückzugsbasis für bewaffnete Gruppen zur Verfügung – das hätte den Einmarsch Südafrikas und das Ende der Freiheit nach sich gezogen – aber die vielen schwarzen Fliehenden und Schutzsuchenden wurden geräuschlos aufgenommen und unterstützt. Botswana war dem schwarzen Widerstand wichtig: ein Ruheraum, ein moralisches Vorbild des Durchhaltens mitten im Feindesland.

Als Ex-Präsident wurde Masire international berühmter als er es zu Amtszeiten je war. Drei Jahre lang, von 2000 bis 2003, war er der internationale Friedensvermittler für den unlösbar scheinenden „afrikanischen Weltkrieg“ in der Demokratischen Republik Kongo und brachte die Gespräche wider Erwarten zu einem erfolgreichen Abschluss. Davor, von 1998 bis 2000, leitete er eine Untersuchungskommission hoher afrikanischer Würdenträger über den Völkermord in Ruanda, deren Abschlussbericht als erster schonungslos das „moralische Versagen“ auch der afrikanischen Akteure geißelte. Später war er in ganz Afrika als Vermittler gefragt – erst vor einem Jahr in Mosambik.

Botswana gilt heute als Vorbild für gute Regierungsführung

Masires Geheimnis: er nahm seine Gesprächspartner ernst, statt sie einzuschüchtern. Er begab sich auf ihr Niveau, er ging Risiken ein, er ließ sich auf schwierige Umstände ein, er nahm sich viel Zeit, aber ohne seine Ziele zu verwässern, und dadurch gewann er Vertrauen. Und er hatte einen listigen Humor, der ihm half, brenzlige Situationen zu entschärfen. All diese Qualitäten lobten die afrikanischen Trauerredner, die sich in der Hauptstadt Gaborone sammelten, bevor Masire in seinem Geburtsdorf Kanye zu Grabe getragen wurde: die ehemaligen Präsidenten von Südafrika und Namibia, von Mosambik, Tansania und Sambia und als einziger amtierender Staatschef der alte Robert Mugabe aus Simbabwe, fast gleichaltrig mit Masire, der eine emotionale Rede hielt. Masire „genoss Respekt, ohne darum zu bitten“, sagte Mugabe und lobte seine „Großzügigkeit im Geiste“ und seine „Selbstlosigkeit“. Südafrikas Expräsident Thabo Mbeki sagte, Masire verkörpere „das Wesen afrikanischer Führung“.

Für viele Botswaner ist Ketumile Masire nur vergleichbar mit Nelson Mandela. Als Sohn eines Hirten vergaß er nie seine Verwurzelung im Volk. Und während er international als Friedensvermittler glänzte, widmete er sich in der Heimat dem, was jeder afrikanischen Familie bei der Zukunftsplanung am wichtigsten ist: Bildung, Bildung, Bildung. Vor seiner politischen Karriere gründete und leitete er eine der ersten Oberschulen Botswanas, hinterher die Universität von Botswana, deren Kanzler er bis zum Zeitpunkt seines Todes war.

Auf den Trauerfeiern erinnerten sich seine Hinterbliebenen an seine Maximen: Hart arbeiten, viel lesen, sich nicht für etwas Besonderes halten. Sein Sohn erzählte, er habe zu Fuß zur Schule gehen und am Wochenende auf der Farm arbeiten müssen. Und nicht zuletzt wurde lobend hervorgehoben, dass Masire in einem Krankenhaus in Botswana gestorben ist – andere afrikanische Führer, wie zuletzt die Präsidenten von Simbabwe, Nigeria, Kamerun, Angola oder Algerien, lassen sich nie im eigenen Land medizinisch behandeln, wenn es ernst wird, nicht einmal in Afrika. Viele Führer Afrikas stehen zwar gerne für Afrika, aber sie vertrauen Afrika nicht. Bei Masire war das anders. Die Trauer um ihn hat sichtbar gemacht, wie groß die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei vielen Führern ist und wie schmerzlich der Mangel an Führung auf dem Kontinent wiegt.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Danke für diese wohltuende Nachhilfe in afrikanischer Politik. Mehr Staatsmänner dieser Art wären der ganzen Welt zu wünschen. Weise, sich still dem hyperventilierenden Mainstream zu entziehen und trotzdem Ziele zu verfolgen, die den Menschen dienlich sind.

  • Danke für die Information, Dominic Johnson - mit Afrika verbindet man hierzulande in der Regel die Vorstellung von korrupten, autoritären und unfähigen Diktatoren und ihren Clans, desto wichtiger ist es, über die Ausnahmen zu berichten. Leider fehlt der Hinweis, ob Masires Vorbild in Botswana bis heute bei seinen Nachfolgern nachwirkt (ich hoffe es), und das Lob aus dem Mund eines eines Mugabe macht mich auch ein wenig misstrauisch. Aber die Verdienste, die Sie schildern, stellen Masire sicher mindestens auf eine Stufe mit so manchem Würdenträger, der anderswo mit großem internationalen Brimborium bedacht wird.