Kolumne Afrobeat: Tod ohne Trauer
Beim Jahrestag der Gründung der African Union feiern sich die Politiker Afrikas selbst – und ignorieren die Flüchtlinge, die jeden Tag sterben.
D er 25. Mai ist in Afrikas offiziellem Kalender ein großer Tag: der Jahrestag der Gründung der ersten panafrikanischen Staatenorganisation OAU (Organisation für Afrikanische Einheit) im Jahre 1963. Bis heute begeht der OAU-Nachfolger AU (Afrikanische Union) den 25. Mai feierlich als „Africa Day“.
Dieses Jahr erklärte AU-Kommissionschefin Nkosana Dlamini-Zuma, sie begehe den Afrika-Tag 2015 „mit viel Optimismus: Afrika hat den Weckruf gehört, seine eigene Agenda zu gestalten – für das Volk durch das Volk.“ Der amtierende AU-Vorsitzende Robert Mugabe, im Hauptberuf Präsident von Simbabwe, lobte die „großen Fortschritte“, die die AU erzielt habe, um „ein Umfeld zu schaffen, das die Zukunft Afrikas gewährleistet“.
Kein Wort gab es von den höchstrangigen Politikern Afrikas für die Tausenden Afrikaner, die dieses Jahr bereits im Mittelmeer ertrunken sind, beim verzweifelten Versuch, Afrika zu verlassen und Europa zu erreichen. Jede Woche werden es mehr. Eine Woche vor dem Africa Day lancierte die EU ihre neue Militäroperation, die Flüchtlingsboote früh aufspüren soll. Am Africa Day selbst starben fünf afrikanische Migranten vor der Küste Ägyptens, als sie in Panik aus ihrem Boot mit Kurs Italien sprangen, weil sich die ägyptische Küstenwache näherte. Die anderen 25 wurden verhaftet.
Solche Vorfälle reichen in europäischen Medien nicht einmal mehr für eine Kurzmeldung. In afrikanischen Medien ist es allerdings nicht besser. Wer denkt, in Afrika würde sich eine nennenswerte Öffentlichkeit über das dramatische Schicksal der Boatpeople erregen, irrt sich. Die Flüchtlinge und Migranten sind entweder Privatsache oder Dreck. Mit Glück haben sie Angehörige, die sich um ihr Schicksal Sorgen machen und Telefonkontakt halten. Mit Pech sind sie auf sich gestellt, jedes Zusammentreffen mit afrikanischen Sicherheitskräften kann lebensgefährlich sein und ihre Leichen werden irgendwo anonym verrotten.
In Eritrea, Äthiopien, Sudan oder Somalia ist ein Menschenleben nichts wert. Dieses riesige nordöstliche Afrika, das vom Indischen Ozean bis hinter den Nil in die Sahara-Wüste reicht, ist eines der unwirtlichsten Gebiete der Erde. Es verlangt seinen Bewohnern übermenschliche Strapazen ab, um zu überleben. Die mörderische Wucht der Geographie und des Klimas erdrückt jeden Einzelnen. Der Staat behauptet sich als Gewaltakteur und hat das absolute Verfügungsrecht über die Lebensperspektive seiner Bürger.
Das unmenschliche Afrika
Dies ist das unmenschliche Afrika, vor dem die Leute davonlaufen. Die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba, in der die AU ihren Sitz hat, liegt mittendrin. Äthiopien mag hohe Wachstumsraten vorweisen und Armut und Hunger mögen sinken, aber die knapp 100 Millionen Äthiopier genießen nicht einmal das Recht auf privaten Grundbesitz; und ist irgendjemandem aufgefallen, dass vor einer Woche in Äthiopien ein neues Parlament gewählt wurde und dass die Regierungspartei davon ausgeht, diesmal bei 90 Prozent Wahlbeteiligung 547 von 547 Sitzen zu gewinnen statt nur 546 wie bisher? Dabei ist Äthiopien noch das aufgeklärteste Land der Region.
Am anderen Ende des Kontinents sieht es nicht unbedingt besser aus. Eines der wichtigsten westafrikanischen Herkunftsländer der Mittelmeermigranten ist Gambia, ein Land kleiner als Schleswig-Holstein mit etwa der Einwohnerzahl Hamburgs. In der gambischen Politik kennt jeder jeden, und seit Ende 2014 der seit zwanzig Jahren regierende Diktator fast gestürzt wurde, hat das Regime nach Recherchen von Menschenrechtsgruppen zahlreiche Angehörige mutmaßlicher Putschisten nach dem Prinzip der Sippenhaft inhaftiert.
Anfang Mai tagte die AU-Menschenrechtskomission in Gambias Hauptstadt Banjul und bedauerte „die Verschlechterung der sozioökonomischen, politischen und Sicherheitslage in gewissen Ländern“, die „Menschen dazu treibt, sich unter Lebensgefahr in das Abenteuer der Migration zu stürzen“. Namen wurden nicht genannt. Das wäre ja auch verwunderlich bei einer Organisation, deren amtierender Vorsitzender Robert Mugabe rund ein Drittel seiner Landesbevölkerung in die Emigration getrieben hat.
Der „Khartum-Prozess“
Präsidenten wie die von Simbabwe oder Gambia sind insgeheim wohl ganz froh, wenn aufsässige Elemente und überzählige Mäuler das Land verlassen. Das Flüchtlingsproblem, heißt es bei der EU, ist langfristig nur durch Zusammenarbeit mit afrikanischen Regierungen bei der Bekämpfung der Fluchtursachen zu lösen. Was aber, wenn diese Regierung selbst Fluchtursachen sind?
Der Rahmen der AU zum Umgang mit Migration nach Europa ist der sogenannte „Khartum-Prozess“, den eine AU-Regionalkonferenz im Oktober 2014 in der Hauptstadt Sudans ins Leben rief. Bestätigt im November in Rom auf einem Treffen mit EU-Amtskollegen, zielt der Khartum-Prozess vor allem auf die Zerschlagung der „kriminellen Netzwerke“ ab, die „illegale“ Migration befördern und verhindern, dass die „potentiellen“ Vorteile einer „geregelten“ Migration zum Tragen kommen. Für die Zusammenarbeit mit Afrika beim Umgang mit der Massenflucht von Afrikanern nach Europa verlässt sich die EU also auf ein Konstrukt, das in der Hauptstadt eines Landes entstand, dessen Präsident noch immer vom Internationalen Strafgerichtshof unter dem Vorwurf des Völkermords an der eigenen Bevölkerung gesucht wird.
Am vergangenen Mittwoch gedachte die AU übrigens doch erstmals der vielen Flüchtlinge und Migranten, die bei ihrer Reise gestorben sind. Man müsse mehr tun, um das Risiko für Schmuggler zu erhöhen, erklärte AU-Sozialkommissar Olawale Maiyegun. Anders ausgedrückt: Flucht muss noch schwieriger und tödlicher werden. Kein Problem, beeilte sich Äthiopiens Vertreter beizuspringen: Man werde mit „Sensibilisierung“ beginnen. Ein paar christliche und muslimische Geistliche sprachen Gebete für die Toten. Weder Dlamini-Zuma noch Mugabe waren da. Fast alle Sitze im prächtigen AU-Plenarsaal in Addis Abeba blieben leer.
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