piwik no script img

Kolumne AfrobeatGruseln am großen See

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Bujumbura in Burundi boomt. Doch der Aufschwung ist künstlich. Jederzeit kann die Politik das Kartenhaus wieder zusammenkrachen lassen.

Die Nacht und der Sand von Bujumbura gehört den Nilpferden – und der Vorsicht, die alle verinnerlicht haben. Bild: imago/Mint Images

W enn in der Abenddämmerung die Nilpferde aus dem Tanganjika-See steigen, bringen sich die Strandgäste in Sicherheit. Unzählige Bars und Cafés säumen am Rande von Burundis Hauptstadt Bujumbura das nördliche Seeufer, ideal für Erholungssuchende an trägen, heißen Wochenend-Spätnachmittagen. Aber wenn es spät wird, sitzt man nicht am Wasser, sondern in abgeschotteten Bereichen mit Wachleuten und Hecken. Die Nacht und der Sand gehört den Nilpferden – und der Vorsicht, die alle verinnerlicht haben.

Es herrscht zwar seit zehn Jahren Frieden in Burundi, nach zehn Jahren Krieg, der an die 300.000 Tote kostete und das kleine fruchtbare Paradies im Herzen Afrikas zu einem der ärmsten Länder der Welt machte. Und wer Bujumbura zu Kriegszeiten kannte, erkennt es heute nicht wieder: kilometerweit ziehen sich neue Villen die Berghänge hinauf, eine verrückter als die andere; auf den alten Buschpfaden der heute regierenden Hutu-Guerilla trifft man sich zum Sonntagsspaziergang. Bujumbura entwickelt sich zur heimlichen Partymeile, mit einer Lässigkeit, die völlig im Kontrast steht zur durchorganisierten, ehrgeizigen ruandischen Nachbarhauptstadt Kigali.

Aber der Boom von Bujumbura ist nicht auf Nachhaltigkeit angelegt. Wer seine Villa auf Kredit baut, mit 20 Prozent Jahreszins, setzt darauf, dass über kurz oder lang entweder Inflation oder eine Bankenkrise den Kredit auffrisst. Eine Bank, die solche Kredite vergibt, gibt sich damit genau fünf Jahre, um einen Totalverlust zu vermeiden. Fünf Jahre – das entspricht einer Amtszeit eines burundischen Präsidenten.

Wie ein Kartenhaus

Die alte Zeit der Angst und der Unsicherheit kann jederzeit wiederkehren. In Burkina Faso brach jetzt das scheinbar festgefügte Regime von Blaise Compaoré, der eine Generation lang das „Land der Aufrechten“ zu einem Stabilitätsanker in Westafrika gemacht hatte, wie ein Kartenhaus zusammen. Massenproteste vereitelten nicht nur das Ansinnen des Präsidenten, bei den Wahlen 2015 erneut anzutreten – sie trieben ihn aus dem Amt. Revolution hing in der Luft: Übermütige Jugendliche hüpften im Plenarsaal des Parlaments auf den Sesseln umher und plünderten die Luxusresidenz des flüchtigen Präsidentenbruders.

Burkinas Hauptstadt Ouagadougou ist ein Brennpunkt der Immobilienspekulation. Das riesige Luxuswohnquartier „Ouaga 2000“ ist seit zwanzig Jahren im Bau beziehungsweise in ständiger Erweiterung, und in den letzten Jahren kamen immer ambitioniertere Bauprojekte dazu. Anders als Afrikas etablierte Geschäftsmetropolen wie Johannesburg, Lagos oder NaiNacrobi sind kleine, entlegene Hauptstädte wie Ouagadougou und Bujumbura keine natürlichen Anziehungspunkte für Investoren. In ihnen zeigt sich die künstliche Dimension des afrikanischen Aufschwungs – und seine Kehrseite: die Abhängigkeit von der Politik.

Die ängstlichen „Big Men“

Seit Burundis Präsident Pierre Nkurunziza seinen Wunsch deutlich gemacht hat, auch nach Ablauf seiner zweiten gewählten Amtszeit im Jahr 2015 an der Macht zu bleiben, kehrt auch in Bujumbura Kriegsangst zurück. Und nicht nur in Bujumbura, auch in Kigali, Kinshasa, Brazzaville, Kampala und einigen anderen Hauptstädten steht die Frage auf der Tagesordnung, ob die Präsidenten sich trauen, ihre Macht jemals jemand anderem zu überlassen. Spätestens seit dem Umsturz in Burkina Faso ist die Sprengkraft dieser Frage bekannt.

Denn ein Präsident, der lieber die Verfassung kippt, als von der Macht zu lassen, entlarvt die von ihm geführten staatlichen Institutionen als Hohlkörper. Er bestätigt ungewollt jene Kritiker, die schon immer wussten, dass die demokratischen Institutionen Fassade sind: Ohne den Big Man an der Spitze bricht alles zusammen.

Dann aber ist die gesamte Verfassungsordnung eine Farce: die Parlamente und Gerichte, die Wahlkommissionen und Parteien, die Gewaltenteilung und Menschenrechte. Dies durchschauen die Menschen und handeln entsprechend. In Burkina Faso offenbarten die Wirren nach Compaorés Abgang, wer die wahren Machtfaktoren sind: verschiedene Flügel des Militärs, die traditionellen Autoritäten, einige respektierte Politiker und eben die Straße, chaotisch und unstrukturiert. Und anderswo?

Mysteriöse Leichen im Wasser

Die Kriegsangst in Burundi hat einen Namen: der Rweru-See, idyllisch zwischen Terrassenfeldern und Fischerdörfern an der Grenze zu Ruanda gelegen. Der Rweru-See sammelt die südlichsten Oberläufer des Nils und leitet sie unter dem Namen Akagera-Fluss weiter nach Norden. Seit einigen Monaten tauchen in diesem See immer wieder Leichen auf. Sie sind gefesselt, sorgfältig in Plastik verschnürt.

Burundis Justizbehörden sagen, die Toten kommen aus Ruanda, was allerdings der Strömung der Gewässer widerspricht. Burundis Opposition sagt, die Toten seien Opfer paramilitärischer Hutu-Milizen des Präsidenten, mit denen er seinen Amtsverbleib durchsetzen will. Ruanda sagt, es habe mit all dem nichts zu tun und hat seinen Teil des Seeufers zum Sperrgebiet erklärt. Weder über die Opfer noch über die Täter gibt es irgendeine gesicherte Erkenntnis.

Die Seeanwohner trauen sich kaum noch ans Wasser. Während des ruandischen Völkermordes 1994 warfen Hutu-Milizen gern Tutsi-Leichen in den Akagera-Fluss, damit sie den Nil hinunter zurück in die angebliche äthiopische Heimat der Tutsi schwimmen. 20 Jahre später ist es entweder wieder so weit – oder jemand spielt mit der Angst davor. Der politische Himmel bewölkt sich, die Vergänglichkeit der Verhältnisse wird jedem bewusst.

Die mondänen Strandbars von Bujumbura, die glitzernden Hochhäuser von Kigali, die wuselnden Malls von Kampala, die edlen Clubs von Kinshasa und Brazzaville – sie sind Schönwetterphänomene, sie verwandeln schnelles Geld in Genuss und Macht, und sie werden sich als erste leeren, wenn schwere Zeiten anbrechen. Werden sie alle die kommenden Jahre unbeschadet überstehen?

Der „schwarze Frühling“ von Burkina Faso ist nicht nur ein Hoffnungsträger. Er läutet auch so manche Abenddämmerung ein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!