Kolumbianisches Magazin wird Illustrierte: Amputierte Pressefreiheit
Aus dem unabhängigen kolumbianischen Wochenmagazin "Cambio" wird eine Illustrierte. Wirtschaftliche Gründe werden vorgeschoben, doch der Verlag fügt sich lediglich der rechten Politik.
Selten hat eine Entscheidung so viel Empörung in Kolumbiens Medienszene ausgelöst wie die letzte Woche verfügte Schließung des renommierten Wochenmagazins Cambio. Aus wirtschaftlichen Gründen werde Cambio künftig nur noch monatlich als Illustrierte mit „leichteren Themen“ erscheinen, versicherten Sprecher der Verlagsgruppe El Tiempo, die auch die gleichnamige Tageszeitung herausgibt. „Die Zeitschrift war unabhängig, mutig und intelligent und folglich unbequem für die Macht“, schrib hingegen der Kolumnist Antonio Caballero von der Konkurrenz Semana. Ignacio Gómez von der „Stiftung Pressefreiheit“ sieht in der Episode das jüngste Beispiel für die „inzestuöse Beziehung zwischen der politischen Macht und den Medien“ in Kolumbien. Vizepräsident ist Francisco Santos, ein Spross der Verlegerfamilie Santos von El Tiempo. Dessen Vetter Juan Manuel Santos war unter Staatschef Álvaro Uribe Kriegsminister und macht sich Hoffnungen auf dessen Nachfolge. Enrique Santos, ein weiterer Vetter, setzt sich derzeit als Chef des Verlegerverbands „Interamerikanische Pressegesellschaft“ lautstark für die Pressefreiheit in den links regierten Nachbarländern ein. Für Juan Manuel Santos waren die Cambio-Redakteure „nützliche Idioten“ der Farc-Guerilla - denn immer wieder analysierte das 1993 gegründete linksliberale Magazin die wunden Punkte des Uribe-Regimes, etwa die symbiotischen Verbindungen zwischen den rechten Paramilitärs und der parlamentarischen Basis des Staatschefs. Oder die Praxis der Armee, junge Zivilisten zu ermorden, um sie dann als im Kampf getötete Guerilleros auszugeben. Oder die Spitzelaktivitäten des Geheimdienstes gegen rund 300 Oppositionspolitiker, Richter, Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten. Letztes Jahr deckte Cambio auf, dass die Regierung befreundeten Großgrundbesitzern illegale Subventionen in Millionenhöhe zugeschanzt hatte. Auch wirtschaftliche Interessen dürften die Einstellung befördert haben. Die spanische Planeta-Gruppe, seit drei Jahren Mehrheitseigner des El-Tiempo-Verlags, bemüht sich gerade um die Lizenz eines privaten TV-Kanals. „Heute fragt der Verleger, was die Leute lesen wollen, und dann sucht er den seriösen Spezialisten, der das aufschreibt“, zitiert María Jimena Duzán den Planeta-Chef José Manuel Lara. Damit dürfte er sich mit Präsident Uribe einig sein, vermutet sie. Für die Semana-Kolumnistin ist die Schließung von Cambio der „härteste Schlag gegen den Journalismus und die kolumbianische Demokratie“ in letzter Zeit. Doch bei weitem nicht der einzige. Ihr Kollege Alfredo Molano, der gerade von einer abstrusen Verleumdungsklage freigesprochen wurde, skizziert den Wandel unter Uribe: „Lange war Kolumbien das Land, in dem die meisten Journalisten ermordet wurden. Nun hat sich eine Art Selbstzensur durchgesetzt, man hat Angst, einige Dinge zu sagen – oder man wird entlassen“. Oppositionelle JournalistInnen würden nach wie vor als Terroristenhelfer denunziert: „Das ist, wie wenn man einen Grabstein um den Hals hängen hat“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid