Koloniale Machtverhältnisse: Das inszenierte Paradies
Das Hamburger Museum für Völkerkunde zeigt koloniale Fotografien aus seinem Bestand. Sie zeigen Europäer in Machtposen und verklärte Südseeschönheit.
HAMBURG taz | Ob es das Paradies gibt, wer darin wohnt und wer nicht, das sind schon keine einfachen Fragen. Interessant ist aber auch die Frage, ob man es denn überhaupt erkennen würde, stünde man davor: „Blick ins Paradies“ ist eine Ausstellung im Hamburger Museum für Völkerkunde betitelt, die sich einer Sphäre widmet, bei dem einem schnell das Adverb „paradiesisch“ einfallen dürfte: die Südsee.
Zu sehen sind Fotografien ab etwa 1860 bis hinein in die 1920er-Jahre. Der Raum, aus dem die Fotografien stammen, entspricht dem Dreieck Hawaii – Osterinseln – Neuseeland. Zurückgegriffen hat man auf den fotografischen Fundus des Museums selbst, der in großen Teilen noch nicht systematisch erforscht ist. So eröffnet die Ausstellung mit einem wandfüllenden Bild, das mehr Fragen stellt, als es Antworten gibt: ein Blick hinein in eine üppig wachsende Vegetation. Nach und nach entdeckt man zwei weiße Frauen, die in weiten Kleidern unter den Bäumen sitzen. Ihnen zu Füßen liegt ein europäischer Mann, im Hintergrund ist des Weiteren ein Kind zu sehen.
Am rechten Bildrand ist noch eine fünfte Person zu entdecken: das Gesicht eines dunkelhäutigen Mannes mit lockigen Haaren, sein Körper bleibt verdeckt. Wer ist der Mann? In welchem Verhältnis steht er zu den anderen vier? Oder hat er sich zunächst vom Fotografen unbemerkt ins Bild geschlichen, um zu schauen, was hier passiert? Wurde er bewusst an den Rand gestellt, absichtlich getarnt, um – ja, was? „Wir wissen weder wer der Fotograf war, noch wo das Bild überhaupt gemacht wurde“, sagt Jeannette Kokott, Leiterin der Ozeanien-Abteilung des Hauses: „Die einzige Information, die wir haben, ist der Titel des Bildes: ’Bananas‘, also ’Bananen‘.“
Ein nicht minder spannendes, aber ungleich unangenehmeres Foto wartet am Ende der Ausstellung: Wir sehen wiederum einen Europäer, diesmal vor einem improvisierten Hintergrund aus Stofftüchern. Im Gegensatz zu der Fülle an sorgsam inszenierten Bildern, die die Ausstellung sonst füllen und wo Menschen sich meist sehr aufrecht, auch sehr würdevoll vor einer Kamera aufgestellt haben, fläzt sich dieser Mann ungewöhnlich lässig auf seinem Stuhl. Man meint, einen recht mürrischen Gesichtsausdruck zu erkennen. Im Hintergrund ist der doppelte Lauf einer Flinte zu sehen. Zu seinen Füßen stehen mehrere Gläser mit in vielleicht Alkohol eingelegten Pflanzen oder Tieren. Seinen rechten Fuß hat er noch dazu sehr demonstrativ auf einer Muschel abgestellt: Hier zeigt sich einer, der so ganz seine Überlegenheit genießt. Oder ließe sich das Bild auch ganz anders lesen?
In jedem Fall ist diesmal wenigstens der Name des Abgebildeten bekannt: Johann Stanislaus Kubary, ein polnischer Ethnologe und Sammler, der besonders das Hamburger Handelshaus Godeffroy belieferte, lange führend im deutschen Südseehandel, das seinerseits in der Hamburger Speicherstadt von 1879 bis 1885 ein eigenes Museum unterhielt.
Zwischen diesen beiden Polen – der Verklärung der auszubeutenden Kolonien und der offensichtlichen Demonstration von Macht – bewegen sich die Fotos der Ausstellung. Europäer zeigen sich in blütenweißen Gewändern und Anzügen beim Kricketspielen. Sie reiten zu Pferd durch ihre Besitztümer. Sie präsentieren sich entspannt im vermutlich kühlenden Schatten ihrer Häuser oder sie weisen die Bahnlinien vor, die ans Ufer führen, damit die von den Plantagenarbeitern gewonnenen Rohstoffe dem Weltmarkt entgegen segeln können. Auch Bilder ihrer Arbeiter sind dann und wann zu sehen: Gruppenweise hocken diese auf dem Boden oder verharren einen Moment erstarrt, bis sie ihre Arbeit wieder aufnehmen.
Spannend sind auch die bekannten Bilder der sogenannten Südseeschönheiten, junge Frauen, die sich in der Pose der Venus oder der Eva räkeln und die für Jahrzehnte die erotischen Fantasien europäischer Männer in Wallung brachten: „Es waren vermutlich alles Frauen, die in ihrem Alltag vollständig bekleidet zu sehen waren, aber nun sagte man zu ihnen: ’Zieh‘ dich aus, lächele mild, wir machen jetzt ein Foto von dir‘“, sagt Jeannette Kokott. Auch bei diesen Fotos ist meistens unbekannt, wer fotografierte und noch mehr, wer die Frau war, die fotografiert wurde. „Wurden sie dafür bezahlt? Wurden sie in irgendeiner Weise gezwungen? Und was hat ihre Tätigkeit als Modell für ihren sozialen Status bedeutet?“, fragt Kokott.
Es gibt in der Ausstellung aber auch eine ganz andere Nutzung der Fotografie zu entdecken, diesmal von den sonst Fotografierten selbst initiiert: Der König von Hawaii David Kalakaua I. (1836–1891) nämlich unterhielt nicht nur einen Hoffotografen, er beauftragte auch örtliche Fotostudios, immer wieder das Leben seines Herrscherhauses, aber auch den Alltag seiner Untertanen abzulichten. Nur ging es diesmal nicht darum, die Bedürfnisse der Kolonialherren und ihrer Angestellten zu befriedigen, die irgendwann in ihre kalten Heimatländer zurückkehrten und gerne Bildchen von scheinbar glücklichen Einheimischen inmitten einer tropischen Idealwelt mitbrachten.
Die Botschaft stattdessen: Auch wir hier auf Hawaii tragen ordentliche Orden zu schmucken Uniformen wie der Adel in England oder Frankreich; auch wir sitzen an langen, gedeckten Festtagstafeln und nicht mehr schnöde auf dem Boden; und das auch nicht leicht bekleidet trotz der Wärme, sondern ganz im Stil der damaligen europäischen Mode. Und auch wir haben ein Theater in unserer Hauptstadt, wo man gesittet zuschaut.
Es gab sogar Sammelkartensets, um ein Album mit den Porträts gegenwärtiger wie vergangener Herrscher nach und nach zu füllen – zuerst Abbildungen als Kupferstiche, dann eben Fotografien. Kalakaua I. und sein Haus standen damals mächtig unter Druck, weil sein Land in den Blick der jungen Nation USA gerückt war, die sich die Inselgruppe vor ihrer pazifischen Haustür einzuverleiben suchte. Geholfen hat es nicht: Hawaii wurde im Sommer 1898 annektiert, gut 50 Jahre später dann ganz offiziell der 50. Bundesstaat der USA.
■ Eröffnung: Sonntag, 15. 12., 11 Uhr, Museum für Völkerkunde, Hamburg
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