: Kollegen vertrieben
„Besonders radikal“: In Hamburg widmet sich eine Studie der Geschichte jüdischer Ärzte nach 1933
Es war wohl kaum der nahezu zeitgleich in Berlin eröffneten OSZE-Konferenz zum Antisemitismus in Europa geschuldet, dass die Hamburger Ärztekammer gestern einlud. Dabei war das Thema ein verwandtes: Vorgestellt wurde ein Buchprojekt der Historikerin Anna von Villiez über die Vertreibung jüdischer Ärzte Hamburgs aus dem Berufsleben 1933 bis 1945.
421 jüdische Ärzte gab es in der Hansestadt zum Zeitpunkt der „Machtergreifung“, das Ende der NS-Diktatur 1945 erlebte hier gerade mal ein Dutzend Ärzte – der Rest war emigriert oder ermordet worden. Wie andernorts auch lag der Anteil zumeist „assimilierter“ und getaufter Juden bei den Ärzten deutlich über dem an der Gesamtbevölkerung: „Jeder fünfte Hamburger Arzt wurde nach 1933 als Jude verfolgt“, so von Villiez in einem bereits erschienenen Artikel.
Anfang April 1933 wurden weite Teile der „nichtarischen“ Ärzte in Krankenhäusern, Gesundheitsverwaltung und Universitäten ihrer Ämter enthoben, noch im selben Monat erfolgte der Verlust der Kassenzulassungen. Auch wurden Juden vom Medizinstudium ausgeschlossen – unter Berufung übrigens auf die „Überfüllung der deutschen Hochschulen“.
Rasch folgten weitere Schritte, am 30. September 1938 schließlich erloschen die Approbationen aller verbliebenen jüdischen Ärzte, einige wenige durften danach als „Krankenbehandler“ ausschließlich „nichtarische“ Patienten versorgen – im Prinzip ein Berufsverbot. Im Zusammenhang mit der reichsweiten Pogromnacht im November 1938 wurden die ersten Ärzte in KZs verschleppt, vielfach wurde die Emigration erzwungen. Im Oktober 1941 begannen die Deportationen, mindestens 39 Hamburger Ärztinnen und Ärzte kamen in den Vernichtungslagern des Ostens um, „von 16 Hamburger Medizinern ist bekannt, dass sie ihrem Leben selbst ein Ende setzten“, so von Villiez.
Sie interessiert sich auch dafür, warum die Verdrängung jüdischer Mediziner aus Öffentlichkeit und Erwerbsleben derart „schnell und radikal“ erfolgte – und warum keinerlei offener Protest der „arischen“ Standeskollegen überliefert ist: In der biologistischen Ideologie des Nationalsozialismus sei Ärzten eine zentrale Stellung zugekommen – und getragen worden sei die Instrumentalisierung ihrer Profession „nicht nur von einer kleinen Gruppe von ‚Verbrecherärzten‘, sondern von der übergroßen Mehrheit der deutschen Ärzte“. Die Hintergründe dieses Verhaltens scheinen auch Hamburgs Ärztekammer zu beschäftigen. Es sei „beschämend“, so Kammerpräsident Dr. Michael Reusch gestern, „umso mehr, als sich diese Berufsgruppe das Humane, die humanitas, auf die Fahnen geschrieben hat“. Nachdem die Kammer ihre Mitglieder um Spenden ersuchte, ist nun die Finanzierung der Forschungsarbeit und des Buchprojekts gesichert; die Veröffentlichung ist für Mitte kommenden Jahres geplant. Alexander Diehl