Kohlendioxid-Lager vor Berlin möglich: Ein Endlager unter der Stadtgrenze
Vor den Toren Berlins könnte CO2 aus Kohlekraftwerken verpresst werden. Bei den Anwohnern erwacht nun Widerstand, ein Gutachten warnt vor Folgen für das Berliner Trinkwasser.
Eines der potenziellen Endlager für den Klimakiller Kohlendioxid liegt direkt vor den Toren Berlins. Ganz am nordöstlichen Rand, dort, wo die Gegend ländlich wird und die Häuser kleiner, liegt Lindenberg. Auf einer von Greenpeace herausgegebenen Karte, die bundesweit über 400 mögliche Endlager zeigt, ist hier nur ein kleiner orangefarbener Punkt zu sehen. Maximal 77,27 Millionen Tonnen CO2 könnte man hier im Erdboden lagern. Doch für die Lindenberger wäre jede Tonne eine zu viel.
Carbon Dioxide Capture and Storage (CCS) heißt die Technologie, gegen die Anwohner in den Brandenburger Orten Beeskow und Neutrebbin schon seit Jahren protestieren. Das bei der Verstromung von Kohle entstehende Kohlendioxid soll abgetrennt und unterirdisch verpresst werden. Energiekonzerne wie Vattenfall hoffen, so die klimaschädliche Kohleverstromung etwas ökologischer zu machen.
Doch das Konzept hat Haken. Zunächst einmal sinkt mit CCS der Wirkungsgrad eines Kraftwerks. Denn es muss mehr Energie produzieren, um das Kohlendioxid abzuscheiden und zu verpressen. Wodurch wiederum mehr CO2 entsteht. Vor allem aber ist unklar, ob einmal verpresstes CO2 tatsächlich ewig im Gestein bleibt, wo es eingelagert wurde. Sollte es austreten, wäre das gefährlich: Das Gas ist geruchlos, aber in höheren Konzentrationen tödlich.
Die Karte: Greenpeace hat eine Karte der potenziellen CO2-Endlager erstellt. Die Angaben beruhen auf Daten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Für die Herausgabe dieser Daten hatten die Umweltschützer ein halbes Jahr gekämpft. *** Die Orte: Die potenziellen Endlagerstandorte rund um Berlin sind eher klein: In Lindenberg liegt die maximale Kapazität bei weniger als 80 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Es gibt andere Orte, die für mehr als 600 Millionen Tonnen geeignet sein sollen. Das Kohlekraftwerk Jänschwalde (Vattenfall) stößt im Jahresdurchschnitt 23,6 Millionen Tonnen CO2 aus. *** Der Boden: Um CO2 im Untergrund zu speichern, muss dessen Struktur als geeignet gelten. So sollen zum Beispiel umliegende Gesteinsschichten das Lager dicht abschließen. Die Speicherschicht selbst muss porös sein. Als geeignet gelten zum Beispiel ehemalige Lagerstätten von Erdöl und Erdgas, salzwasserführende Schichten und Kohleflöze.
Befürchtungen dieser Art sind es, die Gabriela Beege Ende April ins Lindenberger Rathaus trieben. Eine von den Brandenburger Grünen initiierte Bürgerversammlung hatte zum Protest gegen CCS aufgerufen. Obwohl die Karte der potenziellen Standorte seit Februar bekannt ist, erfuhr Beege erst durch die Einladung zur Versammlung, dass unter ihrem Haus CO2 verpresst werden könnte. Und die Nachbarn erfuhren es, weil Beege von Tür zu Tür ging und ihnen erzählte, dass Lindenberg auf der Liste steht.
"Ich hoffe, dass wir die Technologie stoppen können, nicht nur für Lindenberg", sagt Beege. Sie wohnt rund 50 Meter von der Berliner Stadtgrenze entfernt, und wenn sie über die Gefahren spricht, nennt sie immer auch die Großstadt mit. Auch für die Bürgerinitiative, die sich mittlerweile gegründet hat, hofft Beege auf Unterstützer aus Berlin, etwa aus dem benachbarten Karow.
"Es ist nicht auszuschließen, dass ein CO2-Speicher bis unter Berlin reicht", sagt Andreas Jarfe, Geschäftsführer des Umweltverband BUND Berlin. Denn anders als etwa ein Kornspeicher lasse sich im Gestein Gespeichertes nicht einfach so begrenzen.
Doch auch sonst, sagt Jarfe, könne eine Speicherung Auswirkungen auf Berlin haben. Das geht auch aus einem Gutachten im Auftrag des Amts Barnim-Oderbruch hervor, das sich mit einer möglichen Speicherung am Standort Neutrebbin befasst. Durch die Verpressung könne Salzwasser aus tieferen Schichten hochgedrückt werden und ins Grundwasser laufen, heißt es in der Studie. Daher würden "die möglichen, von Neutrebbin ausgehenden Grundwasserversalzungen im Westen bis über das Stadtgebiet Berlins hinaus und im Osten bis weit in das Hoheitsgebiet der Republik Polen reichen". Neutrebbin liegt mit rund 50 Kilometer deutlich weiter von Berlin entfernt als Lindenberg.
Es sind die Brandenburger Grünen, die gerade dazu beitragen, den Protest anzustoßen. Die Kreisverbände organisieren Bürgerversammlungen und auch mal eine Demo, wie in Panketal, dem Nachbarort von Lindenberg. "Wir unterstützen die Bürgerinitiativen vor Ort und machen auch selber Informationsveranstaltungen", sagt Annalena Baerbock, Landesvorsitzende der Brandenburger Grünen. Man verstehe sich als Informationsvermittler und Netzwerker.
Das Bundeskabinett hat erst im April einen Gesetzentwurf zur CCS-Technologie beschlossen, am gestrigen Donnerstag wurde es in erster Lesung im Bundestag debattiert. Nötig geworden war das Gesetz, da ohne gesetzliche Grundlage überhaupt kein CO2 verpresst werden dürfte. In seiner derzeitigen Fassung gibt es den Bundesländern Ausstiegsmöglichkeiten: Sie könnten festlegen, dass die Speicherung in bestimmten Gebieten unzulässig ist.
Rot-Rot für CCS
Darauf können die Einwohner von Lindenberg nicht hoffen. Die Brandenburger Regierung aus SPD und Linkspartei hat sich in der Vergangenheit nicht nur für Strom aus Kohle, sondern auch für CCS ausgesprochen. Kurz nach dem Beschluss des Bundeskabinetts erklärte die Landesregierung sogar, den Gesetzentwurf eben wegen der Ausstiegsklausel abzulehnen. Denn die lasse befürchten, so Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linkspartei), dass sich einzelne Länder der Verantwortung entziehen könnten, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Vor ihrer Regierungsbeteiligung hatte sich die Brandenburger Linkspartei noch für einen Ausstieg aus der Kohleverstromung eingesetzt.
Es gibt noch mehr Orte in Brandenburg für eventuelle Endlager, die Greenpeace auf der Basis von Daten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe nennt. In Streganz bei Königs Wusterhausen. In Ketzin im Havelland. Und in Strausberg im Märkisch-Oderland.
Gabriela Beege, die Lindenbergerin, erhofft sich jetzt eine Dynamik wie bei den Protesten gegen Stuttgart 21 oder die Flugrouten vom BBI. Allerdings, meint Beege, müssten dann auch die Berliner aufwachen. Und sich überlegen, ob sie künftig auf einem CO2-Endlager leben wollten.
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