Kohleausstieg in Europa: Ein Ende mit Schrecken
Die EU rühmt sich ihrer Klimaziele. Wenn sie die ernst nimmt, gibt es nur eins, sagt eine neue Studie: Sofort raus aus der Kohle!
Dieser Kohleausstieg wäre doppelt so schnell wie von der Bundesregierung vorgeschlagen. Erst diese Woche hatte Wirtschafts-Staatssekretär Rainer Baake gefordert, bis 2030 die Hälfte der deutschen Kohlekapazitäten stillzulegen.
Die Studie „A Stress Test for Coal in Europe“ ist eine aufwändige Rechnung für eine simple Frage: Was bedeutet das Pariser Klimaabkommen von 2015 für die Kohlekraft in der EU, die ein Viertel des Stroms liefert? Die Antwort: Schnelle Abschaltung aller etwa 300 europäischen Kohlemeiler, nämlich bis 2030. Denn wenn bis Mitte des Jahrhunderts global praktisch kein Kohlendioxid mehr emittiert werden darf, ist das Budget der EU-Kohle auf 6,5 Milliarden Tonnen CO2 begrenzt.
Den Zeitpunkt für den Kohleausstieg haben die Experten von „ClimateAnalytics“ nach zwei Kriterien kalkuliert: Dem CO2-Ausstoß (dreckige Kraftwerke früher vom Netz) oder der Wirtschaftlichkeit (abgeschriebene Kraftwerke zuerst). Je nach Berechnung verschwinden in den nächsten Jahren einzelne Kraftwerke früher oder später: Je älter und dreckiger ein Meiler, desto schneller wird er stillgelegt. Je jünger und moderner, desto länger bleibt er am Netz. Dennoch gibt es junge Kraftwerke wie Moorburg bei Hamburg oder Datteln in NRW, die nach diesem Fahrplan abgeschaltet werden müssen, bevor sie sich amortisieren können.
Kraftwerke müssen sterben, bevor sie abgezahlt sind
Nach den Kalkulationen geht es zuerst den älteren Kraftwerken in den südlichen und östlichen EU-Ländern an den Kragen. Dabei haben schon bislang sieben EU-Länder gar keine Kohle, andere wie Frankreich, Großbritannien oder Finnland haben den Ausstieg in 10 bis 15 Jahren beschlossen.
Nur Polen und Deutschland, die zusammen die Hälfte der europäischen Kapazität stellen, halten aus politischen und ökonomischen Gründen bislang an der Kohle fest. Sie haben auch in den letzten Jahren noch in die Kohle investiert, was sich nun rächt. Denn manche Projekte werden ihr Investment nicht wieder einspielen können. Denn lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, schreiben die Experten: Bis 2020, also in drei Jahren, „müssen ein Viertel der Kohlekraftwerke in der EU abgeschaltet werden“, fünf Jahre später noch einmal 47 Prozent. Denn wenn die bisherigen Kraftwerke weiterlaufen, würden sie ihr CO2-Budget bis 2050 um 85 Prozent überschreiten.
Für ClimateAnalytics-Chef Bill Hare ist dieser schnelle Kohleausstieg „eine der größten Herausforderungen für Europa. Das wäre für jede Region eine gigantische Aufgabe, aber die EU hat bereits die Instrumente dafür.“ So müssten Erneuerbare ausgebaut werden, die betroffenen Regionen müssten beim Übergang zu anderen Strukturen unterstützt und neue Investitionen müssten abgesichert werden. Vor allem müsse der EU-Emissionshandel verbessert werden.
Gerade darüber stimmt das Europäische Parlament am nächsten Mittwoch ab. Die neue Studie soll den Abgeordenten klar machen, worum es geht.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen