■ Kohl sitzt aus, Krenz sitzt ein: Honecker-Nachfolger wegen Mauertoten zu 6,5 Jahren Haft verurteilt und noch im Gericht verhaftet
Berlin (taz) – Egon Krenz, ehemaliger Vorsitzender des Staatsrats der Deutschen Demokratischen Republik, Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrats, sitzt in Untersuchungshaft in Berlin-Moabit. Die 27. Große Strafkammer am Landgericht Berlin verurteilte den 60jährigen gestern wegen Totschlags in vier Fällen zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Gegen die beiden Mitangeklagten Günter Schabowski und Günther Kleiber wurden Haftstrafen von drei Jahren verhängt. Ihnen wurde Totschlag in drei Fällen zur Last gelegt.
Während die Haftbefehle gegen Schabowski und Kleiber bis zur rechtskräftigen Verurteilung vorläufig außer Kraft bleiben, wurde Krenz noch im Gerichtssaal verhaftet. Da er mehrfach wiederholt habe, das Urteil nicht anzuerkennen, bestehe Fluchtgefahr, begründete das Gericht seine Maßnahme. Nach der Urteilsverkündung rief Krenz: „Ich beuge micht nicht.“ Er sei nicht wegen eines Verbrechens, sondern seiner „politischen Ämter“ wegen verurteilt worden. Krenz' Anwalt kündigte gestern umgehend Revision vor dem Bundesgerichtshof an, die Anwälte der beiden Mitangeklagten wollten einen solchen Schritt noch prüfen. Mit dem gestrigen Urteil ging nach über achtzehn Monaten das Verfahren gegen die ehemaligen Mitglieder des SED-Politbüros wegen der Toten und Verletzten an der Mauer zu Ende. In seiner Begründung erklärte der Vorsitzende Richter Josef Hoch, die Angeklagten hätten an den Beschlüssen des Politbüros zur Grenzsicherung mitgewirkt, ohne die die Flüchtlinge nicht erschossen worden wären. Konkret wurden den Angeklagten der Tod von Michael- Horst Schmidt, Michael Bittner, Lutz Schmidt und Chris Gueffroy zur Last gelegt. Das Politbüro war nach Ansicht des Gerichts die „faktische Organisationsspitze des Staates“. So hätten sich die Jahresbefehle an die Grenztruppen stets auf Politbüro-Beschlüsse gestützt. Die Formel vom „Klassenauftrag“, den die DDR- Grenztruppen zu befolgen hatten, bezeichnete Hoch als „ideologischen Schießbefehl“. Strafverschärfend wertete das Gericht bei Krenz dessen Tätigkeit als SED-Sicherheitschef, in dessen Funktion er an der Ausarbeitung der Politbüro-Beschlüsse mitgewirkt habe. Strafmildernd wertet es hingegen Krenz' und Schabowskis Rolle während der Wende 1989, bei der kein Schuß fiel. Severin Weiland
Tagesthema Seiten 2/3, Kommentar Seite 10
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