■ Vorlauf: Körpervermessung
„Juristische Körper“, Sonntag, 0.05 Uhr, ZDF
Es gibt ein paar Regeln, die der Illegale unbedingt einhalten sollte: Er darf nicht krank werden und auf ärztliche Hilfe angewiesen sein. Er sollte nicht schwarzfahren oder sich bei anderen Kleindelikten überraschen lassen. Außerdem sollte er sich nicht zu oft mit Landsleuten sehen lassen, denn das erhöht die Gefahr einer Kontrolle. Wer gibt wem eine Identität und zu welchem Zweck? fragen Jörg Heitmann und Philip Scheffner, die sich auf die Spuren der Körpervermessung begeben haben.
Der gesamte Körper ist im Verlauf der Zivilisation als juristischer Körper definiert worden. Erste systematische Vermessungen führte die französische Polizei bereits 1896 durch, der Fingerabdruck wurde zum Sinnbild der Identifizierbarkeit. Zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens, meinen Sicherheitsexperten, bedarf es forcierter Anstrengungen kriminalistischer Forschung. Ein 39jähriger, zum Tode verurteilter Texaner ist in allen physischen und medizinischen Einzelheiten als Referenzmodell auf CD erhältlich. Am repräsentativen Körper lassen sich Planspiele jeder Art durchführen. Der Rassenwahn der Nazis, der eine Reihe von Vermessungspraktiken eingeführt hat, scheint heute noch auf Polizei-Protokollbögen gegenwärtig. Es wird nach slawischen, südländischen und mitteleuropäischen Typen gefragt.
Der summarische Erzählgestus des Films läßt die staatliche und polizeiliche Körpervermessung im Rahmen einer monströsen Verschwörungstheorie erscheinen. Die Definitionsmacht besitzt schon die Instrumente für einen ganz anderen Staat. Die Testpersonen für einen gigantischen Kontrollapparat seien vor allem Flüchtlinge und Asylanten, die ohne jede gesellschaftliche Lobby sind. Wie auch immer eine politische Bewertung der Vermessungstechniken am menschlichen Körper ausfallen mag, bemerkenswert ist die naive Leichtigkeit, aber auch die Hörigkeit, mit der die Beschäftigten mit den Techniken umgehen. So plant man eine Art elektronische Selbstbedienungsgrenze. Der Reisende, meinen Zollbeamte, soll beim Grenzübertritt sowenig wie möglich das Gefühl der Kontrolle haben.Harry Nutt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen