: Können Steine denn singen?
■ Dave McKeans „Cages“ ist ein Comic über Kunst, Philosophie und Katzen und wie das zusammengeht
Beeindruckend ist das unbedingt, was der Engländer Dave McKean da versucht hat: Hierzulande vor allem durch seine elaborierten Cover zu Neil Gaimans „Sandman“- Serie bekanntgeworden, setzt sich der Comiczeichner in seinem fünfteiligen Zyklus „Cages“ mit dem künstlerischen Schöpfungsprozeß auseinander. „Die Angst des Künstlers vor dem leeren Papier“ sozusagen, und nicht nur das.
Am Anfang steht seine ebenso eigenwillige wie faszinierende Version des göttlichen Schöpfungsprozesses, prächtig illustriert und gut erzählt. Eine große Kosmologie. Dann führt eine schwarze Katze den Leser über die Dächer zum Ort der Haupthandlung, einem alten Haus mit merkwürdigen Bewohnern irgendwo in England. Die Hauptpersonen: der neue Mieter, ein Maler mit Angst vor dem Neuanfang, dazu ein leicht verbitterter Schriftsteller, der sich in revolutionären Attitüden zu gefallen scheint, und ein schwarzer Jazzmusiker, gleichermaßen abgedreht und cool. Typen, die langsam Konturen gewinnen, nicht zuletzt durch die Katze.
McKean versteht es, gut zu erzählen
Dazu treibt sich ein Sammelsurium skurriler Gestalten auf der Szenerie umher: kleine Männer, die mit verzweifeltem Stolz riesige Kisten schleppen, eine verwirrte Vermieterin, ein Kunsthändler, der nicht sprechen kann und ständig seine kleinen Zettel durcheinander bringt, und ein Halbdebiler, der den Schlüssel für alle Fragen zwar in der Tasche hat, jedoch die falsche Hose trägt. Und dazu Rätsel über Rätsel: Was sind das für furchteinflößende Männer, die dem Schriftsteller alle liebgewordenen Dinge wegnehmen? Können Steine singen? Und warum läßt sich eine vereinsamte alte Frau so von ihrem Papagei schikanieren?
Kein Zweifel, McKean versteht es, gut zu erzählen. Die Dialoge, Selbstgespräche und abstrusen Gedichte behalten selbst bei aller Banalität eine schwer zu fassende Ausdruckskraft. Zuweilen bleibt alles ein wenig zu mysteriös, zu bedeutungsschwanger, mit einem kleinen Hauch von zuviel Pathos. Doch fesselnd ist es allemal.
Und McKeans graphische Ausdrucksfähigkeiten schöpfen die Möglichkeiten des Mediums „Comic“ voll aus. Über die bloße Illustration hinaus schafft er eine überzeugende Verbindung von Bild und Literatur. Mit dem Wechsel der Perspektiven und Stimmungen ändern sich die Zeichenstile, einfache Schwarzweißskizzen werden zu fein ausgeführten Radierungen, Photorealismus wechselt zu farbsprühenden Ölgemälden. Und langsam verbinden sich die vielen kleinen Geschichten und angedeuteten Skizzen zu einem Gesamtwerk.
Entstanden ist so ein äußerst ambitionierter Comic-Zyklus auf hohem Niveau. „Comic-Magier“ haben sie ihn dafür genannt. Kann man mit leben. Udo Angerstein
Dave McKean: „Cages: Orte“, Band 1; „Linien“, Band 2; „Schichten“, Band 3; Carlsen-Verlag, 26,90 DM
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