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Koalitionsvertrag mit BSW in ThüringenGegen Handys, aber für Diplomatie

In Thüringen beenden CDU, BSW und SPD erfolgreich ihre Koalitionsgespräche. Eine eigene Mehrheit haben sie nicht, einen gemeinsamen Vertrag schon.

Präsentieren den Koalitionsvertrag: Georg Maier (SPD), Mario Voigt (CDU), Katja Wolf (BSW) und Steffen Schütz (BSW), l-r Foto: Bodo Schackow/dpa

Dresden taz | Vor vier Wochen war in Thüringen noch Abbruchstimmung festzustellen. Gemessen daran erschien die Vorstellung des neuen Koalitionsvertrages an diesem Freitag wie eine Familienzusammenführung. Eine zunehmend freundliche Stimmung sei während der Koalitionsverhandlungen unter den drei Partnern zu spüren gewesen, so die Spitzen von CDU, BSW und SPD. Während ihrer Pressekonferenz war der Begriff „Vertrauen“ gefühlt ebenso häufig zu vernehmen wie die 28-fache Verwendung des Wortes „Frieden“ im Vertragstext.

„Wir wurden nicht füreinander geschaffen, aber wir stehen in der Verantwortung, aufeinander zuzugehen.“ Für diesen pathetischen Satz erntete der noch amtierende Innenminister Georg Maier (SPD) auf dem Podium Zustimmung. Welche Konstellation unter Ausschluss der AfD, den Maier noch einmal betonte, sollte sonst überhaupt eine Regierung bilden? Erst auf Anfrage ging Maier auf das Mehrheitsproblem im Landtag ein. Denn auch die neue Koalition verfügt nur über die Hälfte der 88 Landtagssitze, muss also um Stimmen werben.

Dafür hatten die drei Parteien schon im Ergebnis der Sondierungen einen „prälegislativen Konsultationsmechanismus“ erfunden. Sachsen kopiert diese Idee einer Vorab-Information aller Landtagsfraktionen über Gesetzesvorhaben der Regierung inzwischen. Das Echo aus der Opposition soll die jeweiligen Entwürfe schon beeinflussen. Abstimmungsniederlagen könnten so vermieden werden, lautet die Hoffnung. In der Regierung will man stets mit einer Stimme sprechen.

Das Verfahren und die Begriffswahl erinnern an den seit 2020 unter umgekehrten Vorzeichen mit Linken, SPD und Grünen bereits praktizierten „Stabilitätsmechanismus“, bei dem die oppositionelle CDU das Zünglein an der Waage spielen konnte. Diese Rolle könnte nun der Linken zufallen, auf die man zuerst zugehen müsste. „Eine andere Partei fällt mir nicht ein“, sagte Innenminister Maier.

Krieg und Frieden und Westbindung

Vielen Inhalten und vor allem der Präambel des Koalitionsvertrages dürfte eine sozialdemokratisierte Thüringer Linke zustimmen können. Mit besonderer Spannung war die sogenannte Friedensformel erwartet worden. Für Sahra Wagenknecht und ihre Partei stehen Aussagen insbesondere zum Krieg gegen die Ukraine im Zentrum ihres Selbstverständnisses. Ähnlich wie in Sachsen wären an deren Formulierung die Koalitionsgespräche nach Intervention Wagenknechts beinahe gescheitert.

Die drei Absätze der Präambel betonen Gemeinsamkeiten wie den Willen zum Frieden in Europa, die Unantastbarkeit von Grenzen und den Respekt vor den Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, in den Krieg hineingezogen zu werden. Diplomatische Initiativen, „den von Russland gegen die Ukraine entfesselten Angriffskrieg zu beenden“, unterstützen alle drei Partner.

Nur CDU und SPD hingegen „sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik“. „Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs“, wird von deren Seite eine Differenz angedeutet. Benannt werden Auffassungsunterschiede hinsichtlich der Waffenlieferungen an die Ukraine, die aber im Streben nach diplomatischen Lösungen aufgehoben werden könnten. Die kritische Sicht vieler Menschen in Thüringen auf die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen wird gemeinsam anerkannt. Eine öffentliche Debatte darüber soll sogar gefördert werden.

Damit zeigte sich die Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht im fernen Berlin zufrieden. BSW-Landesvorsitzende Katja Wolf spielte Differenzen mit ihr herunter und äußerte Verständnis für die „Adleraugen“ Wagenknechts in einer noch so jungen Partei. Es sei nun einmal ums „Eingemachte“ gegangen. Herausgekommen aber sei „ein wunderbares 126-Seiten-Papier“, lobte Wolf auch die Partner und Kontrahenten der künftigen Koalition. „Wir mussten eine Zumutung sein“, räumte Ko-Vorsitzender Steffen Schütz ein.

Handy-Verbot und Abschiebungen

Nicht triumphierend, aber häufig lächelnd benannte der nunmehr als Favorit für die Ministerpräsidentenwahl geltende CDU-Fraktionschef Mario Voigt Schwerpunkte des Vertrages. In der Gesundheitsversorgung soll Thüringen das „20-Minuten-Land“ bleiben oder werden, also mit kurzen Wegen zum Arzt oder ins Krankenhaus. Wie das mit der am Freitag im Bundesrat angenommenen Krankenhausreform Karl Lauterbachs zu vereinbaren ist, sagte Voigt nicht.

Bildung ist ein Premium-Thema der CDU. Ab Klasse Sechs soll es wieder jährliche Versetzungsentscheidungen geben, vor der Einschulung einen Sprachtest und an Grundschulen werden Handys verboten. Und natürlich sollen Lehrer geworben werden. Migrationszahlen sollen unter anderem durch eine zentrale Ausländerbehörde gesenkt werden. Mehr Aufnahmeplätzen steht ein konsequenterer Abschiebewille gegenüber.

Weniger Bürokratie soll die Wirtschaft stimulieren. Dem BSW ist neben der Friedensfrage der Alltag der Bürger generell am wichtigsten. Friedensbildung, ja Friedenserziehung in der Schule und Friedensforschung hat das BSW in den Vertrag hineinverhandelt. Die SPD liegt bei sozialen Problemen nicht weit entfernt, will „Stimme derer sein, die keine Lobby haben“, so Georg Maier.

Die Fachressorts sind bislang nur quantitativ, aber nicht nach Zuschnitt und Personalien verteilt: vier Ministerien für die Union, drei für das BSW, zwei für die SPD. Dem Vertrag soll der erweiterte Landesvorstand der CDU bald zustimmen, die SPD beginnt ihre zweiwöchige Mitgliederbefragung am bevorstehenden Montag. Das BSW will seinen mit Spannung erwarteten Landesparteitag am 7.Dezember abhalten. Ein Termin für die Ministerpräsidentenwahl wurde noch nicht genannt.

Kandidat Mario Voigt beschwor auffallend oft das Zusammenwirken und einen Aufbruchsgeist des Handelns statt defätistischer Meckerei. „Hier gelingt etwas“, appellierte er. Auf dass erfüllt werde, was die Präambel des Regierungsvertrages für Thüringen prophezeit: „Ein Land der Hoffnung und des Zusammenhalts.“

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5 Kommentare

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  • Beim Foto fällt mir nun erst auf, dass irgendwann ein "Minion"-Look in Teilen Thüringens Mode geworden sein muss. Doch zum Inhaltlichen.

    Wie kann Voigt eigentlich argumentieren, dass man die gerade in Thüringen sehr pragmatisch agierende Linke nicht ins Boot nehmen darf, aber eine kaum verhüllte Personenpartei wie BSW schon?

    Dass man die enthemmt rechtsrabiate Höckepartei außen vor lässt, ist klar. Doch Ramelows Angebot zumindest hätte man ernstnehmen dürfen. Soziale Sicherheit ist auch in Thüringen ein Thema.

  • Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Es gibt einen Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU für Koalitionen mit der Linken, die (als sie noch SED hieß) von der Bevölkerung auch in Thüringen wegrevolutioniert wurde. Und nun macht sie eine Koalition mit deren Hardliner-Ableger, nur um an die Tröge der Macht zu kommen!

  • Diese Koalition ist exakt das, was die Wähler absolut nicht wollten

    • @Andere Meinung:

      Was wollten denn die Wähler exakt? Und wie könnte maus diesen Wählerwillen umsetzen?

    • @Andere Meinung:

      Offensichtlich falsch, sorry. Eine Koalition von Linken und den gerade in Thüringen unangenehm Bräunlichen hätte auch keine parlamentarische Mehrheit. Um die Argumentation mal kurz zu halten.