Koalitionsvertrag in Bremen: Senator für Pflege gesucht
Gewerkschaften, Arbeitnehmerkammer und Verbände in Bremen sind enttäuscht darüber, dass beim Thema „Pflege“ an den Ressorts nicht gerüttelt wird.
![](https://taz.de/picture/3544579/14/HB_online.jpeg)
BREMEN taz | Die Bündelung der Bereiche Gesundheit und Pflege in einem Ressort fordern die Arbeitnehmerkammer, die Gewerkschaft Ver.di und der DGB von der künftigen Bremer Regierung, ebenso wie die Angehörigen-Initiative „Heim-Mitwirkung“ sowie der Pflegeschutzbund „Biva“. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände (LAG) verlangt sogar ein gemeinsames Ressort Gesundheit und Soziales.
Die Gründe: Das immer drängender werdende Thema Pflege und die künftige gemeinsame Ausbildung von Alten- und KrankenpflegerInnen. Bisher sind zwei Ressorts für die Bereiche Alten- und Krankenpflege zuständig, für den einen das Sozial-, für den anderen das Gesundheitsressort – und so wird es trotz der Forderungen wahrscheinlich auch bleiben. Zumindest sendet die künftige Koalition keine gegenteiligen Signale aus.
Die DGB-Regionsvorsitzende Annette Düring hat die Hoffnung dennoch nicht aufgegeben: „Noch sind die SenatorInnen ja nicht bestellt“, sagt sie. Eigentlich, sagt sie, bräuchte es einen Beauftragten in Bremen ausschließlich für das Thema Pflege: „Dafür gibt es genug zu tun.“ Das scheint Rot-Grün-Rot allerdings auch erkannt zu haben, denn die Pläne im Koalitionsvertrag findet Düring „von der Richtung her okay“.
DGB fordert einen Pflege-Beauftragten
So heißt es dort unter anderem, dass in der stationären Altenpflege die Arbeitsbedingungen durch bessere Bezahlung und höhere Personalausstattung verbessert, die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen für eine flächendeckende Tarifbindung unterstützt, die Wohn- und Betreuungsaufsicht personell verstärkt und die Heimbeiräte gestärkt werden sollen. Durch den Ausbau von Tages- und Nachtpflegeplätzen sollen außerdem Angehörige entlastet und durch die Verdopplung von Ausbildungskapazitäten soll dem Pflege-Fachkräftemangel begegnet werden.
Auch LAG-Vorstandssprecher Arnold Knigge findet durchaus lobende Wort zu den Vorsätzen der künftigen Landesregierung: „Die inhaltlichen Aussagen zur Pflege können wir gut nachvollziehen, dort stehen wichtige und richtige Dinge“, sagt er. Allerdings: „Den guten Vorsätzen müssen nun auch schnelle Taten folgen.“
Damit spielt er vor allem auf den Vorsatz zur gemeinsamen Pflege-Ausbildung an. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir wollen die Attraktivität des Gesundheitsstandorts Bremen durch gute Bildung in den Gesundheits- und Therapieberufen steigern. Deswegen setzen wir die generalistische Pflegeausbildung ab 2020 zur Ausbildung für Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege um.“
Start der neuen Ausbildung ist gefährdet
Knigge bezweifelt, dass das funktionieren wird, denn die Finanzierung der generalistischen Ausbildung sei in Bremen nicht gesichert. Die neue Ausbildung ist komplex, weil die Pflegeschulen und Ausbildungsbetriebe der bisher getrennten pflegerischen Bereiche künftig zusammengeführt und koordiniert werden müssen. PflegeschülerInnen sollen künftig in jedem Gebiet einen umfangreichen Teil ihrer praktischen Ausbildung absolvieren und Pflegeschulen Lehrstoff aus allen Pflegebereichen unterrichten. Das alles kostet Geld und wird von den Kranken- und Pflegekassen sowie dem Land finanziert.
Aber: „Die Pauschalen, die die Kassen für die praktische Pflege-Ausbildung in Bremen zahlen wollen, liegen weit unter denen der anderen Bundesländer“, sagt Knigge. Die Ressorts würden viel zu wenig Druck machen: „Hier fehlt der nötige Wind.“
Mögliches Schiedsverfahren
Er fürchtet, dass die Finanzierungsverhandlungen in einem Schiedsverfahren münden werden: „Sollte es so weit kommen, ist der Start der neuen Ausbildung im Jahr 2020 gefährdet“ – und Bremen wahrscheinlich das einzige Bundesland, das dann noch nicht generalistisch ausbildet. „Das wäre eine Katastrophe“ sagt Kerstin Bringmann von der Gewerkschaft Ver.di.
Reinhard Leopold, Gründer der Angehörigen-Initiative „Heim-Mitwirkung“ und Regionalsprecher des Vereins Biva, freut sich zwar, dass der Koalitionsvertrag eine Personalaufstockung bei der für die Kontrolle für Pflegeeinrichtungen zuständigen Heimaufsicht ins Auge fasst, aber: „Leider steht das dort nur als nebulöse Absichtserklärung – ich vermisse hier Konkretes.“ Das Thema Transparenz, so Leopold, falle gänzlich unter den Tisch: „Es ist sehr bedauerlich, dass sich die Koalition mit keinem einzigen Wort zum Thema Veröffentlichung der Prüfergebnisse von Einrichtungen durch die Heimaufsicht äußert.“ Ebenfalls fehle ihm ein Passus, der konkrete Lösungen bei nachgewiesenen Pflegemängeln aufweise. Und überhaupt: „Der stationären Pflege werden gerade einmal drei Sätze gewidmet, in denen mehrfach ‚wir wollen‘ und kein einziges Mal ‚wir werden‘ steht.“
Synergieeffekte für pflegende Angehörige
Für Leopold wäre die Zusammenführung der Bereiche Gesundheit, Pflege und Verbraucherschutz in einem Ressort am sinnvollsten. Dadurch könnten, sagt er, Synergieeffekte und die Vermeidung von Zuständigkeitsproblemen erreicht und Verbraucherrechte gestärkt werden: „Besonders pflegende Angehörige stehen unter hohen physischen und psychischen Belastungen. Sie brauchen einfache, übersichtliche und logische Strukturen, wenn es um Zuständigkeiten und Unterstützung geht.“ Er ist enttäuscht, dass sich an den Ressort-Aufteilungen wohl nichts ändern wird: „Unsere Forderung ist offenbar ungehört verhallt.“
CDU wollte Pflege-Ressort
Das allerdings wäre erstaunlich, denn: In einem kurz vor der Bürgerschaftswahl präsentierten „100-Tage-Programm“ für den Fall der Regierungsübernahme heißt es: „Wir werden die Zuständigkeit für Kranken- und Altenpflege in einem Ressort für ‚Gesundheit und Pflege‘ zusammenführen und einen Pflegebeauftragten einsetzen.“ Allerdings stammt dieses Programm von keiner der künftigen Regierungsparteien – sondern von der CDU.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!