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Koalitionsstreit um Stuttgart 21SPD lehnt Geißler-Kompromiss ab

Es kracht in der grün-roten Koalition in Stuttgart. Die SPD lehnt Geißlers Kompromiss im Bahnhofsstreit öffentlich ab. Ein "Wunder" ist die einzige Chance.

S21-Freund Claus Schmiedel, Fraktionsvorsitzender der SPD in Stuttgart.

STUTTGART taz | Im Streit über Stuttgart 21 haben die grün-roten Koalitionäre ihre Zurückhaltung aufgegeben und tragen ihren Streit öffentlich aus. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel hat den Kompromissvorschlag von Schlichter Heiner Geißler öffentlich abgelehnt - einen Tag bevor die Koalition an diesem Donnerstag zusammenkommt, um darüber zu beraten. Währenddessen spricht Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) von einer Chance, räumt aber ein, nur noch ein "Wunder" könnte Stuttgart 21 verhindern.

Geißlers Vorschlag sieht eine Kombilösung aus einem Tief- und einem Kopfbahnhof vor. "Wir sollten uns die Zeit nehmen, diesen Vorschlag wirklich zu prüfen", sagte Kretschmann dem Stern. "Ich hoffe, dass die SPD auch sieht, was für Chancen in ihm stecken." Womöglich dachte Kretschmann bei dieser Aussage auch an die koalitionsinternen Differenzen. Während die Grünen den Tiefbahnhof S 21 ablehnen, sind die Sozialdemokraten mehrheitlich für den unterirdischen Neubau.

Doch aus einem Koalitionskompromiss wird wohl nichts. "Niemand kann die Grünen daran hindern, weiter auf diesem Vorschlag rumzureiten", sagte SPD-Fraktionschef Schmiedel der Nachrichtenagentur dpa. "Aber ein Projekt der grün-roten Koalition wird das nicht." Der Kompromiss sei nicht bezahlbar und würde den Stand der Planung auf null drehen.

Wie die taz am Mittwoch berichtete, kommt das Regierungspräsidium Stuttgart zu dem Schluss, dass für die Kombilösung ein neues Planfeststellungsverfahren notwendig wäre, was mindestens fünf Jahre dauern würde. Kretschmann sagte im Interview, er sehe sich in einem politisch-moralischen Dilemma. "Ich kann nicht ungeschehen machen, was meine Vorgänger beschlossen haben." Schließlich gebe es Verträge und komplizierte Rechtsfragen. Doch er stehe zu seinem Versprechen: "Im Rahmen meiner Möglichkeiten mache ich alles, um dieses Projekt zu verhindern, von dem ich überzeugt bin, dass es nicht gut ist für unser Land."

Unabhängig vom Ausgang des Streits hätten die S-21-Gegner aber bereits viel erreicht. "Den Konflikt hinter dem Konflikt haben wir gewonnen", sagte Kretschmann. Bei zukünftigen Projekten müsse der Staat seine Bürger einbeziehen.

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16 Kommentare

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  • OS
    Otto Suhr

    Herr Kretschmann wusste doch von Anfang an, wie das ganze ausgehen würde. Etwas anderes zu suggerieren war doch nur die übliche grüne Heuchelei vor Wahlen. Die Grünen sind die größten Opportunisten in der Republik. Da winkt Frau Roth vom CSD-Wagen, während ihr Parteifreund Palmer Konzeptpapiere gegen die schwullesbische Gleichberechtigung verfasst. Da lehnt die Grüne Fraktion im Frankfurter Römer eine Ausladung des Dachverbands der rechten Burschenschaften (DB) ab um am nächsten Tag gegen das Burschenschaftstreffen zu demonstrieren, dass sie selbst hätten verhindern können!

    Bei einer solchen Partei die gleichzeitig alle Standpunkte vertritt muss man sich nicht wundern, wenn am Ende alle unzufrieden sind. Großes Lob an die SPD dafür, dass sie hier konsequent bei ihrer Linie bleibt.

  • G
    Grünkern

    Geislers Vorschlag vereint die Nachteile beider Lösungen: Die Gleise bleiben oben und die Fläche für die Stadtentwicklung des Stuttgarter Kessels verloren, in die Tiefe gegangen wird trotzdem. Eine tolle Idee, die in erster Linie den Grünen den ungeliebten Bürgerentscheid vom Halse hält. Denn wenn der verloren ginge - und danach schauts derzeit aus - wäre ihre moralinsaure Überheblichkeit nicht mehr begründet, und ein nicht unerheblicher Teil der Gegner von S21 ist nur für Demokratie wenn sie die Mehrheit stellen.

    Man kann von der SPD sagen was man will, aber in Stuttgart sind sie die einzigen, die eine konsequente (pro S21, aber mit Bürgerentscheid) Haltung haben. die Grünen dagegen sind gegen S21 und auch nicht mehr so richtig für Basisdemokratie, jetzt wo klar wird, dass die Mehrheit der Bevölkerung S21 akzeptiert. Aber auch bei der letzten Wahl haben ja über 70% der Bürger pro S21-Parteien gewählt, ist den Grünen nur nie aufgefallen.

  • M
    Mirko

    Ich frage mich, wie lange diese Peinlichkeit noch rausgezögert werden soll, nur damit die Grünen möglichst wenig Gesicht verlieren.

    S21 wird aller Voraussicht nach gebaut werden - laut der letzten Umfage sind 53% in B.-W. dafür (*) und alle Gesetze und Verträge sprechen dafür. Einen "Kompromiss" prüfen zu wollen, der alle Nachteile vereint (hohe Kosten, noch mehr Planung, noch längere und umständlichere Bauarbeiten, maximale Belegung von Grundstücken, ...) und als einzigen Vorteil bietet, dass etwas mehr vom alten Bahnhof stehen bleibt, ist doch ein schlechter Witz und als "Trojanisches Pferd" so geeignet wie ein Panzer.

    Solcherlei Rumlavieren ist einfach nur dumm.

    Sollen die Grünen doch einfach eingestehen, dass bei S21 die Züge abgefahren sind und sich darauf konzentrieren, neue Projekte mit mehr Bürgerbeteiligung zu starten. Wie wär's z.B. mit der Planung, was im neuen Wohngebiet entstehen soll. AFAIR war da außer der Stiftungsgeschichte im Kompromiss nicht viel konkret geplant.

     

    (*) Natürlich werden die nicht alle restlos von einem überteuertem und riskanten Projekt begeistert sein. Vermutlich sehen es die meisten mittlerweile einfach nur als kleineres Übel im Vergleich zu jahrzehntelanger weiterer Planung bei der irgendwann für wesentlich mehr Geld (Planungskosten, Vertragsstrafen, etc.) ein "K21 light" (oder "alles bleibt beim alten") als mit den Restfinanzen noch bezahlbarer Kompromiss raus kommt. Oder evtl. sogar ein "S21+++ reloaded" wenn die CDU irgendwann wieder an die Regierung kommt.

  • VS
    Vom Süden

    Was jetzt passiert ist ein Spiel mit dem Feuer. Wenn der Südflügel vor der volksabstimmung abgerissen wird, brennt Stuttgart. Bahn und Politiker sollten sich darüber im klaren sein. Herr Geissler hatte das schon erkannt was hier losbrechen wird.

  • H
    hanfbauer

    "Bei zukünftigen Projekten müsse der Staat seine Bürger einbeziehen." meint Kretschmann. Leider sieht die Realität ganz anders aus: In München soll der zweite S-Bahntunnel und die dritte Startbahn am Flughafen wie eh und je durchgepeitscht werden. Es geht zu wie bei der Transrapid-Planung. Von wegen "Bürgerbeteiligung" oder öffentliche Diskussion. Wie in Stuttgart haben bei der SPD die Betonköpfe das Sagen. Der selbsternannte Oppositionsführer Christian Ude von der SPD braucht die dritte Startbahn schließlich, damit er ohne lange Wartezeit in sein griechisches Ferienhaus ausfliegen kann...

  • A
    Anna

    Die SPD schafft sich wohl weiter ab, indem sie ihre Mitglieder weiter verprellt. Es gibt SPD-Mitglieder, die auf den Montagsdemos reden und Plakate der SPD schwingen, um zu zeigen, dass vermutlich die Mehrheit der Basis der SPD gegen den Bahnhof ist. Eine Umfrage innerhalb der Mitglieder lehnt die SPD ab, warum wohl? Die letzten Wahlen waren für die SPD schon katastrophal, die SPD-Wähler, die noch auf die Vernunft ihrer Funktionäre gehofft hatte, wissen jetzt mehr. Auch die SPD hat Geld von der Tunnelbohrfirma erhalten und wer weiß, wie tief sie auch drin sind im ganzen Sumpf der Geldgier. Aber warhrscheinlich ist es den SPD-Oberen egal, was aus der Partei wird, hauptsache die eigene Kasse stimmt, hat sich bei Schröder ja auch rentiert, das in seinem Lebenslauf Bundeskanzler steht.

  • R
    rheinelbe

    Hilfos und laut

     

    "Unabhängig vom Ausgang des Streits hätten die S-21-Gegner aber bereits viel erreicht. "Den Konflikt hinter dem Konflikt haben wir gewonnen", sagte Kretschmann. Bei zukünftigen Projekten müsse der Staat seine Bürger einbeziehen."

     

    Herr Kretschmann bekundet öffentlich hiermit endgültig seine Hilflosigkeit - gut so!

    Selbstverständlich werden Bürger bei Projekten ausführlich beteiligt, das ist doch bekannt und steht nachlesbar (!) in den Gesetzen.

    Und es bringt nichts, wenn eine Minderheit ständig krampfhaft versucht, durch ihre fortgesetzte Lautstärke als eine Mehrheit zu erscheinen.

    Sie entlarvt sich dadurch nur selbst.

    Auch das ist gut so!

     

    ...

  • G
    gerd_47

    Man muss sich Herrn Schmiedel wie ein Einhorn vorstellen nur an Stelle des Einhorns ist ein riesen Bohrer angebracht und dieser Bohrer muss ja benützt werde!

    Möglich wurde der riesen Bohrer durch die Spende der Tunnelbohrgeräte Firma ( Martin Herrenknecht Schwanau im Badischen ) in Höhe von € 30.000,-- im Jahr 2009! Fühlt sich Herr Schmiedel durch diese Spende dem Bau von Stuttgart21 verpflichtet?

    Oben bleiben

    Gerd_47

  • B
    Bastian

    @ D. Gödden: Schöner Spruch. Es gibt noch einen Anderen, die sog. Montaggsdemo betreffend: "Wer schreit hat Unrecht" (Dt. Sprichwort)

  • L
    Leser

    Die SPD wird es nie verwinden, hinter den Grünen gelandet zu sein. Sie gönnen ihnen seit eh und je nicht die Butter auf dem Brot, und deshalb wird es auch immer knallen. Nur in NRW läuft es besser, weil Frau Kraft keine totale Sozi-Apparatschik ist.

  • DG
    D. Gödden

    Wer hat uns verraten ? - Sozialdemokraten !

     

    alter Spruch . immer noch aktuell.

  • SW
    S21 wird gebaut

    Endlich hat auch der grüne MP die Realitäten anerkannt. Vielleicht wird seine Partei und mit ihr der Rest des ramponierten Haufens Radikaler dies auch akzeptieren. S21 wird gebaut.

     

    Wir befinden uns in einem Rechtsstaat, auch wenn dies einige Damen und Herren bei den Grünen, den "Parkschützern" und anderen illustren Organisationen anders sehen mögen.

  • S
    Seb

    @Asche: Schulterschluß schon, aber sollten wir nicht bei wirtschaftlich-ökonomischen Fakten bleiben ? Der Flop wurde schon vor Jahren festgestellt und abgelehnt. Unter anderem vom jetzigen grünen Wirtschaftsminister Hermann.

  • F
    flippah

    Wenn stimmt, was eben bei der SZ zu lesen war, dann ist S21 eh gegessen. Denn wenn die ganze Finanzierung wegen Verfassungswidrigkeit nichtig ist, dann kann man nur noch eines tun: den Spaten fallen lassen.

  • RS
    Robert Schrem

    Zitat aus http://www.mvi.baden-wuert​temberg.de/servlet/is/1019​36/

     

    "Unter den SPD-Sympathisanten (58:37) und bei Grünen-Sympathisanten (53:33) ist das Votum sehr positiv, aber selbst bei CDU-Sympathisanten (44:42) und FDP-Sympathisanten (44:42) ergibt sich eine knappe Mehrheit für den Geißler-Vorschlag. "

     

    Aber: Die Regierung scheißt drauf was die Leute wollen. Muss man so deutlich sagen.

     

    In den nächsten Wochen wird der Südflügel abgerissen und der Park gerodet. Erst Wochen / Monate später gibt es dann noch einen Volksabstimmung zur Frage der Finanzierung des Projektes - aber für die interessiert sich bis dahin wohl gar niemanden mehr.

     

    Das neue Label "Bürgerregierung" das sich SPD und Grüne mit viel Trommelwirbel beim Regierungswechsel angehängt haben hat sich damit verbraucht ehe jemand verstanden hat was es denn wirklich bedeuten soll.

  • BA
    Berthold Asche

    Armer Herr Schmiedel,

    ich glaube Sie haben noch gar nicht begriffen, dass der Geißler - Vorschlag (... ein trojanisches Pferd ist ...)der realpolitische Schulterschluß zwischen denen ist, die diejenigen, die Stuttgart 21 insgesamt (... begründet)ablehnen, in Abseits schieben wollen. Damit die Bahn das (Milliarden-) Loch überhaupt bauen kann.