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■ Koalition verabschiedet verschärftes AusländerrechtLebenslange Bewährung

Längst Überfälliges zu unterlassen kann fahrlässig sein. Sich nicht vorwärts zu bewegen kann Rückschritt bedeuten. Beides ließe sich, bei einigem guten Willen, mit Überforderung oder Unwissenheit entschuldigen. Aber die Bonner Koalitionsfraktionen haben gestern nicht einfach nichts getan. Sie haben eine Änderung des Ausländerrechts abgesegnet, die statt längst angemahnter Reformen zwei Schritte in die Vergangenheit verheißt.

Vor allem einer der 27 Änderungspunkte, die der Bundestag gestern debattierte, dokumentiert ein gefährlich rückwärtsgewandtes Denken: die Ausweisung ausländischer Straftäter, auch wenn diese längst Inländer sind. Noch rascher und noch gnadenloser als bisher will man sie in eine „Heimat“ verbannen, die nur noch das Land ihrer Ahnen ist.

Diese Regelung ist nicht nur archaisch. Sie reißt nicht nur Familien auseinander und beendet nicht nur bisherige Lebenswege. Sie sendet ein Signal an die gesamte dritte Migrantengeneration: Egal, ob ihr hier geboren oder aufgewachsen seid, ihr lebt hier auf Bewährung. Die bundesrepublikanische Gesellschaft hat euch geprägt, sozialisiert, vielleicht auch „versaut“, aber sie fühlt sich nicht für euch verantwortlich – allenfalls für euer Wohlverhalten, nicht aber für euer Scheitern. Wer von euch nur einmal kräftig strauchelt, der hat das Grundrecht auf Freizügigkeit und Schutz der Familie verwirkt. „Ausländisches Blut“ geht über deutsche Verfassung.

Und weil Blut sich nicht so einfach tauschen läßt wie ein Paß, wirkt die Bewährungsauflage lebenslänglich – selbst wenn auch formal aus den Ausländern längst Deutsche geworden sind. Eine Nachricht der letzten Woche offenbart dieses Mißtrauen von Staats wegen wie kaum eine zweite. Seit Anfang der 80er Jahre, seit mehr und mehr Einwanderer deutsche Staatsbürger werden, führt das Bundesinnenministerium eine heimliche Einbürgerungsdatei. Einmal Ausländer – immer Ausländer, heißt die Botschaft, auch wenn ihr euch als Deutsche „tarnt“, unserem Kontrollblick könnt ihr nicht entwischen.

Mißtrauen, Argwohn, subtile Kriminalisierung von Fremden kombiniert mit Rekordarbeitslosigkeit und grassierenden Existenzängsten – eine explosivere Mischung kann die Bonner Ausländerpolitik kaum servieren. Vera Gaserow

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