Koalition in Thüringen: Verkorkster Start für Rot-Rot-Grün
Die designierte Minderheitskoalition streitet um Ressorts. Schon wird über ein Bündnis ohne die Grünen spekuliert.
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Die drei Partner wollten am Freitag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz ihren gemeinsamen Koalitionsvertrag vorstellen. Der Termin fand statt, doch das Inhaltliche verschwand hinter dem Streit um die Verteilung der Ressorts. Neun Stunden hatten Linke, SPD und Grüne am Donnerstag über die Verteilung der Ressorts verhandelt. Ohne Ergebnis.
Während Linke und SPD am liebsten alles so lassen würden wie bisher möchten die Grünen gern ihre Ressorts mit neuen Aufgaben erweitern – und etwa Tourismus von der SPD und Landwirtschaft von den Linken übernehmen. Und das obwohl der kleinste Partner bei den Landtagswahlen von den WählerInnen noch ein klein wenig geschrumpft wurde. Entsprechend groß ist der Frust bei SPD und Linken.
In der Staatskanzlei sollen laut Teilnehmern aus Verhandlungskreisen schon Szenarien für eine rot-rote Minderheitsregierung entworfen werden. Lassen die Grünen Rot-Rot-Grün platzen? „Lassen Sie uns die Zeit, die wir brauchen“, antwortet die Grüne Landesvorsitzende und amtierende Umweltministerin Anja Siegesmund auf entsprechende Nachfragen. Am Montag will man weiter verhandeln.
Eine auffallend lange Präambel
Dabei ist die Situation schon schwierig genug für Rot-Rot-Grün: Der Koalition fehlen vier Stimmen zur absoluten Mehrheit, sie sind auf das Wohlwollen von CDU und FDP angewiesen. Die wiederum hätten mit der AfD eine Mehrheit im Landtag. Eine Zusammenarbeit schließen beide Parteien derzeit aus, doch Rot-Rot-Grün wollen sie auch nicht tolerieren. Die CDU legte in dieser Woche immerhin schon mal eine Liste mit 22 Projekten als Angebot an die designierte Minderheitsregierung vor – darunter bessere Kitabetreuung, weniger Unterrichtsausfall und mehr PolizistInnen. Vorhaben, die so ähnlich auch im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag stehen.
„Thüringen geht es gut!“ So lautet gleich der zweite Satz des am Freitag endgültig fixierten „Zukunftsvertrages“ der Minderheitskoalition. Als Generalziele werden gleichwertige Lebensverhältnisse im gesamten Freistaat, der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen bei Einhaltung der Klimaschutzziele formuliert.
Die auffallend lange Präambel erwähnt außerdem Bildung, Ehrenamt, eine an Tarifen orientierte Arbeit in einer modernen Wirtschaft, integrativ gestaltete Zuwanderung.
Sicherheit bedeutet für RRG vor allem gegen Gewalt, Neonazismus und Rassismus zu sein. Die Digitalisierung soll sozial gestaltet werden und in der Verwaltung zu mehr Bürgerfreundlichkeit führen. Speziell aus den Erfahrungen mit der rechten Terrorgruppe NSU sollen Konsequenzen gezogen werden, wobei der Verfassungsschutz aber nicht erwähnt wird. Das Kapitel zur Anerkennung und Aufarbeitung von SED-Unrecht ist aus dem Vertrag von 2014 übernommen worden.
Bei den detaillierten Vereinbarungen stehen soziale Maßnahmen für Kinder, Familien, Frauen, Senioren und Behinderte an erster Stelle. So soll beispielsweise ein drittes beitragsfreies Jahr bei der Kinderbetreuung eingeführt werden. Besonderen Wert legt die RRG-Koalition auf die frühkindliche Bildung.
Wolfgang Tiefensee, SPD-Vorsitzender
Breiten Raum nimmt die Sicherung der medizinischen Versorgung in allen Landesteilen ein. Der Genuss von Cannabis soll nicht mehr kriminalisiert werden. Verstärkte Lehramtsausbildung und Lehrerwerbung durch attraktive Beschäftigungsbedingungen sollen die Unterrichtsversorgung sichern.
Bei der Wirtschaftsförderung setzt die Koalition auf Künstliche Intelligenzen. Beschäftigte in der Kultur sollen zum Flächentarif zurückkehren, der kostenlose Besuch von Kultureinrichtungen ausgeweitet werden. Landeshaushalte müssen auch künftig ohne neue Kreditaufnahme auskommen. Die Bürger sollen mehr direkte demokratische Beteiligungsmöglichkeiten erhalten.
Die Koalitionäre haben sich auch Regeln für ihren demokratischen Umgang untereinander gegeben. Gegenüber CDU und FDP, auf deren Stimmen sie bei Gesetzesvorhaben angewiesen sind, wollen sie nur gemeinsam auftreten. Eine kleine Koalitionsrunde wird sich regelmäßig treffen und für eine gute Atmosphäre sorgen.
Die Latte für diese gewagte Koalition liegt jedenfalls hoch. „Entscheidend ist, dass kein Antrag im Landtag auf die Stimmen der AfD angewiesen ist“, formulierte der SPD-Vorsitzende Wolfgang Tiefensee den Anspruch an die künftige Koalition. Dazu müsste man sich jedoch zunächst untereinander einig sein.
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