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Knochenarbeit unterm Mindestlohn Heute schon Erdbeeren gegessen?

Nirgends werden Klima- und Klassenfragen zusammen besser sichtbar, als bei unsäglichen Arbeitsbedingungen von Erntehelfer:innen.

Tabila Gabaidze, Vladimir Bogoeski, Margarete Brugger und Tigran Petrosyan im taz-lab-Gespräch taz

taz lab, 01.05.2022 | Deutschland will Erntehelfer:innen. Doch was, wenn Arbeiter:innen nur die Hälfte des vertraglich zugesicherten Lohns erhalten? Niemand hatte damit gerechnet, dass ausgerechnet Saisonarbeiter:innen aus der Südkaukasusrepublik Georgien in Deutschland rebellieren würden.

Doch seit Juni 2021 kämpfen georgische Saisonarbeiter:innen für ihren verdienten Lohn und gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen in deutschen Betrieben. In Georgien und der Bundesrepublik hoffen sie vor Gericht auf den Erfolg – es wäre ein erster Sieg, der auch Arbeitskräfte aus Polen und den Balkanstaaten dazu ermutigen könnte, sich endlich zur Wehr zu setzen.

23 georgische Saisonarbeiter bringen einen Stein ins Rollen, der Fahrt aufnimmt und am 20. Mai diesen Jahres vor dem Arbeitsgericht in Ravensburg landen wird. Die meisten von ihnen sind inzwischen gewerkschaftlich organisiert.

„Habt ihr schon Erdbeeren gegessen in diesem Jahr?“ taz-lab-Redakteur Tigran Petrosyan eröffnet die Runde über das Thema „Knochenarbeit unter dem Mindestlohn“ mit einer Frage an die Teilnehmenden und gibt den Ball als erstes weiter an Margarete Brugger, die seit 2019 für Mira arbeitet und langjährige Arbeitserfahrungen im Bereich Asyl und Flucht mitbringt.

Wütende Erntehelfer*innen: Ein Stein im Rollen

Sie berichtet von etwas Neuem im Alten. Ein Betroffener hat einen Film über die Zustände vor Ort gemacht und die Chuzpe besessen, sich mit der Agentur für Arbeit in Verbindung zu setzen. Diese hat Mira ins Boot geholt. Und bald ist auch die taz dran..

Sie haben sogar erreicht, dass die meisten von ihnen den besagten Hof mit den katastrophalen Arbeitsbedingungen wechseln konnten. Eine kleine Meisterleistung. Margarete Brugger „Wenn ich den Hof wechseln will, brauche ich eine Genehmigung von der Agentur für Arbeit. Das ist ein großer bürokratischer Aufwand“.

Unerbittliche Gesetze machen Saisonarbeiter*innen vulnerabel

Neben dem Aufwand ein Riesenproblem: Die Koppelung von Arbeit und Aufenthaltserlaubnis. Hast du keine Arbeit, musst du gehen. Und trotzdem kommen sie immer wieder. Ernehelfer aus Georgien und aus den Balkanstaaten. Wieso?

Tamila Gabaidze benennt es klar. “Die Menschen hatten die Erwartung, dass sie reicher nach Georgien zurückkehren“. In Georgien liegt der durchschnittliche Monatslohn bei 500 Lari. Das entspricht 150 € und ist ohnehin schon weniger als das Existenzminimum.

„Jetzt erleben sie, dass es ihnen schlechter geht, als wenn sie geblieben wären“ Mit Blick auf den anstehenden Prozess fügt sie hinzu „Wir haben die Hoffnung, dass wir den Fall gewinnen. Das wäre eine Präzedenz für Georgien und es wäre eine Präzedenz für Deutschland!“

Ausbeutung – jede Saison auf's Neue

In der Tat geht es um nichts Geringeres, als um das Durchbrechen eines Teufelskreises. Und da tut es die öffentliche Debatte alleine schon lange nicht mehr. Denn die wurde gerade während der Pandemie in den letzten zwei Jahren durchaus reichlich geführt.

„Die politische Aktion hat nicht mitgehalten mit dem Diskurs“ erklärt Vladimir Bogoeski. Er ist Globalisierungsforscher und arbeitet als Jurist an der Universität in Amsterdam. „Es gibt eine Kontinuität der Probleme, der Misshandlungen. Jede Saison auf’s Neue.“

Teufelskreise schnell durchbrechen

Tigran Petrosyan stellt die Systemfrage „Was gibt es für Werkzeuge, um an diesen Strukturen etwas zu ändern“? und greift anschließend eine Frage aus dem Publikum auf. „Wie kann ich als Konsument diese Ausbeutung möglichst nicht unterstützen?“

Und damit schließt sich der (Teufels-)kreis und lässt die Eröffnungsfrage noch einmal in meinen Ohren nachklingen: „Habt ihr in diesem Jahr schon Erdbeeren gegessen?“

P.S.: Nach unserem Arbeitsrecht passiert einem Hof-Besitzer überhaupt nichts. Im besten Fall muss er das zahlen, was er den Arbeitern sowieso hätte zahlen müssen.

Dazu findet Margarete Brugger die einzig richtige Antwort: „Es müssen Strafen eingeführt werden. Es muss richtig weh tun!“ und das bitte schnell.

Ein Text von Hildegard Meier aus unserem taz-lab-Blogger:innenteam.