piwik no script img

Knarzende Big Red Machine

In der Vorrunde hatte der Sozialismus noch gesiegt. Doch im Baseball-Finale schlagen die USA mit ein paar Altstars und zweitklassigen Nobodys den entsetzten Erzrivalen und hohen Favoriten Kuba 4:0

aus Sydney OLIVER CAMP

Das IOC macht vieles möglich, wenn seine US-Hauptsponsoren es wünschen, zum Beispiel den uramerikanischen Sommersport Baseball zur olympischen Disziplin. Eine Goldmedaille konnten die USA in den bisher gespielten zwei Turnieren nicht gewinnen. Schlimmer noch: Die sozialistische Baseballgemeinschaft aus Kuba, von den Amis knapp Big Red Machine genannt, schnappte sich in den zurückliegenden zwei olympischen Turnieren das von Amiland beanspruchte Gold und genoss die Siegesserie im Systemvergleich. Seit gestern jedoch ist die politische Weltordnung auch im Baseball angekommen.

Anders als im Basketball, wo es seit der Abkehr des IOC vom Amateursport stets Goldmedaillen des überlegenen US-Dreamteams gab, werden die USA im Baseball nicht von den besten Profis vertreten. Während die Basketballer sich einen olympischen Sommerspaß in der spielfreien NBA-Zeit machen, naht im Spätsommer der Saisonhöhepunkt im US-Baseball; zu dieser Zeit stellen die Klubs der amerikanisch-kanadischen Profiliga ihre Besten nicht zur Verfügung. Was sind schon die Wettspiele der Jugend der Welt, wenn die US-Meisterschaft in gewohnter Gigantomanie World-Series heißt?

In Südkorea legt die Liga hingegen eine Pause ein, und auch in Japan wurden Top-Profis rekrutiert, um mit einem sportlichen Erfolg Ruhm und Ehre für das gedankliche Konstrukt der Heimatnation zu sammeln. Den Versuch der Ehrenrettung des US-Kapitalismus versuchte diesmal eine Auswahl der unteren Ligen gespickt mit ehemaligen Stars, wie dem 37-jährigen Catcher Pat Borders, der 1992 und 1993 mit den Toronto Blue Jays die World Series gewann. Doch die Kubaner konnten ebenfalls nicht auf ihre Besten zurückgreifen, denn der Exodus von Spitzenspielern in die nordamerikanische Profiliga nimmt seit Jahren zu, mal mit Zwischenstation in der Amateurliga der Dominikanischen Republik, mal per Bootsflucht wie bei Pitcher Orlando Hernandez. Der Zwischenstopp empfiehlt sich indes, denn so können die Spieler gemäß den Statuten der US-Liga als Free-Agents ihre Verträge in schwindelerregender Höhe aushandeln.

In Sydney war es bereits in der Vorrunde zum sportlichen Kampf der Kulturen gekommen. Dabei hatten die Kubaner locker 6:1 gewonnen und ausgesehen, als seien sie nicht vom Gewinn der Goldmedaille abzuhalten. Während Jose Ibar, lediglich der zweitbeste kubanische Pitcher, die US-Batter im ersten Inning überforderte, hämmerten die Kubaner vier Läufer ins Ziel. Damit war alle Herrlichkeit der US-Baseballer vorbei, und das ausverkaufte Stadion genoss in Seeleruhe die erste Galavorstellung der staatssozialistischen Sportler und die Eskapaden der chancenlosen Yankees.

Im vierten Spielabschnitt hatte es sogar handfeste Zwischenfälle gegeben, als den US-Boys der Kragen platzte angesichts kubanischer Leichtigkeit: Batter Ernie Young wurde von einem Wurf des kubanischen Pitchers an der Schulter getroffen und zeterte los, was die Gegner als Aufruf zur Massenschlägerei deuteten. Erneute Härte jenseits des Regelwerks brachte US-Baseman Doug Mientkiewicz ins Spiel, als er Miguel Caldes vor Erreichen einer Base übel umrempelte. Kuba nahm die US-Taktik zur Kenntnis und bemühte sich erfolgreich um die Verletzung des Catchers Pat Borders.

Doch gestern, im Finale von Olympia, war alles anders im seit Wochen ausverkauften Baseballstadion. Shortstop Adam Everett sagte: „Die Kubaner wollten uns einschüchtern. Aber das ist nicht unser Spiel. Wir sind aufgelaufen, um sie zu schlagen.“ Ohne viel Kampfgeschrei und heroische Gesten erarbeiteten sich die Baseballer aus der US-Sportprovinz ein 4:0. Ausgerechnet jene, die beim Vorrundenspiel für Skandale gesorgt hatten, glänzten im Finale durch schlichte Basehits: Mike Neill schlug als Ouvertüre den Ball jenseits des Zauns, und Kuba gelang in der Folge kein Schlag. Den 5. Abschnitt beendete der Wüterich Ernie Young mit einem weiteren Läufer, während Pat Borders den Triumph mit zwei weiteren Läufen nach Hause perfekt machte. Kein Grand-Slam, keine kriegerische Auseinandersetzung: ein klassisches, uramerikanisches Baseball-Finale.

Nach dem Abpfiff zeigten die Spieler der USA das olympiatypisches Siegesverhalten: Flagge her und Fäuste in die Luft. Spätestens seit Sylvester Stallones „Rocky“-Serie erzeugen diese Bilder außerhalb der westlichen Führungsmacht nur noch Gähnen. Schade um die gesellschaftliche Alternative.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen