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Klimaresistenter RadwegImmer noch eine Spur zu heiß

Die „Kühle Spur“ in Brandenburg soll die erste an den Klimawandel angepasste Radstrecke Deutschlands sein. Der Schatten aber lässt auf sich warten.

Auf der Suche nach dem versprochenen Schatten Illustration: Jeong Hwa Min

Großräschen taz | Erst mal ist an dem Tag pralle Sonne: 28 Grad, kein Schatten in Sicht. Aber vom Bahnhof Großräschen sind es nur ein paar Minuten mit dem Rad bis zur „Kühlen Spur“. So wird der Radweg beworben, er ist laut dem Tourismusverband Lausitzer Seenland „der erste klimawandelangepasste Fahrradweg Deutschlands“. Das Kühle lässt aber auf der Seestraße, wo die Strecke startet, noch auf sich warten. Dann endlich, am Ende der Straße, steht vor der Touristeninformation die Erlösung: ein Trinkbrunnen. Es wird der Einzige auf der gesamten Strecke sein.

31,4 Kilometer führt die „kühle Spur“ durch das Lausitzer Seenland, ein Rundweg entlang an Sehenswürdigkeiten und lokalen Gaststätten. Der Fokus der Strecke soll dabei auf Hitzeschutz und „naturnahem Radvergnügen“ liegen. Mehrere Bademöglichkeiten, Bäume entlang der Strecke und besagter Trinkbrunnen sollen für Abkühlung an heißen Tagen sorgen.

Ein touristisches Pilotprojekt

Die „Kühle Spur“ ist ein Pilotprojekt. Entwickelt wurde es von Forschenden des Leibniz-Zen­trums für Agrarlandschaftsforschung (Zalf) und der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU). Offiziell trägt es den Namen „Landschafts-Innovationen in der Lausitz für eine klimaangepasste Bioökonomie und naturnahen Bioökonomie-Tourismus“, kurz LIL-KliBioTo, wie es dann auf der Infotafel zur Strecke steht.

Nix wie hin

Die Besonderheit

Die „Kühle Spur“ bietet einen schönen Blick auf den Hafen in Großräschen. Nur ein paar Meter weiter findet sich die erste Bademöglichkeit der Route, inklusive Sandstrand. Für die Mittagspause ist der Schlosspark in Altdöbern empfehlenswert.

Das Zielpublikum

Natürlich alle, die gern mit dem Rad unterwegs sind. Auf der Website des Lausitzer Seen­lands finden sich Informationen. Ein Helm ist ratsam, genau wie Sonnencreme und Verpflegung. Von Berlin dauert die Anreise per Zug knapp zwei Stunden, es sind aber auch Parkplätze vorhanden.

Hindernisse auf dem Weg

Noch sind halt nicht alle Bäume entlang der Strecke hoch genug. Wirklich kühl wird die Spur wohl erst in einem, vielleicht sogar zwei Jahrzehnten sein. Ideal fahren sich die etwa zwei Stunden Wegstrecke bei etwas über 20 Grad.

„Nicht nur der Wintertourismus muss sich an den Klimawandel anpassen, sondern auch der Sommertourismus, weil die Anzahl der heißen Sommertage zunimmt“, sagt Frank Wätzold. Er ist Hochschullehrer im Bereich Umweltökonomie an der BTU. Eine solche Anpassung müsse jetzt anfangen, weil sie erst nach etwa 15 bis 20 Jahren wirksam werde. Dann erst entfalten die Bäume ihre volle Schattenwirkung. „Der Klimawandel erfordert langfristiges Denken“, sagt der Experte.

In der Gegenwart aber lässt der Schatten so – auch wenn die Strecke jetzt schon als „Kühle Spur“ beworben wird – noch auf sich warten. Was steht, ist der Plan, in der Theorie. Ein Großteil des Wegs führt allerdings weiter durch die pralle Hitze. Manchmal ist da Halbschatten, und manchmal geht es durch den Wald – und wird dort tatsächlich kühl. Und ja, die Landschaft ist wirklich schön. Da ist etwa der Hafen in Großräschen, da ist der Schlosspark in Altdöbern. Auf der Website des Tourismusverbands zur Kühlen Spur gibt es zudem Restauranttipps. „Radtouristinnen und -touristen sollen ja auch zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region beitragen. Von daher können sie auch gern einkehren“, sagt Wätzold dazu.

Es ist kein Zufall, dass das Projekt in Zusammenarbeit mit dem Tourismusverband Lausitzer Seenland entstand. Schließlich hat der Bergbau dort ordentliche Spuren hinterlassen, die nun mit der so geschaffenen Wasserlandschaft als „Urlaubsparadies“ vorgestellt wird. Bald werden auch die Forschenden ihre Erkenntnisse in wissenschaftlichen Arbeiten publizieren, die zur Erforschung von klimaresistentem Tourismus richtungsweisend sein dürften. Für Rad­fah­re­r:in­nen aber ist die Verkündung einer kühlen Spur aktuell schlicht irreführend.

„Wir haben die Idee entwickelt, die gab es vorher noch nicht“, sagt Wätzold als Verteidigung. Die Kühle Spur soll außerdem ein Gebiet erschließen, in dem es bisher noch nicht so viel Radtourismus gibt. „Im Grunde genommen brauchten wir nur verschiedene Radwege zu verknüpfen“, sagt Wätzold. Zur Analyse der Kühlwirkung wurde der Radweg an heißen Tagen mit Wärmebildkameras und Drohnen analysiert. Zudem wurden Radfahrende nach ihren Präferenzen befragt. Daran anschließend wurde die Route geplant und eine „Heatmap“ erstellt, die allerdings eben einige Streckenabschnitte als kühlwirkend ausweist, an denen allerdings erst kleine Bäume stehen, die bei Weitem noch keinen Schatten spenden. Die Heatmap sagt also gewissermaßen die Kühlwirkung in 20 Jahren vorher.

Die Anpassung für die Zukunft

An diesem sommerlichen Dienstag bei 28 Grad ist auf dieser innovativen Radstrecke wenig los. Die Route ist auch nicht ausgeschildert, es gibt lediglich eine Infotafel und die Routenführung auf der App Komoot.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Als „vorwiegend asphaltiert“ ist der Weg beschrieben, was stimmt. Allerdings reicht auch ein kurzer Wegabschnitt mit Brandenburger Sand und Schottersteinen, dass man mit dem Fahrrad ordentlich ins Schlittern kommt. Der Helm kann nicht schaden, und Sonnenschutz tut sowieso weiter Not auf der Strecke.

Die frühe Umsetzung von klimawandelresistenten Maßnahmen ist eine gute Sache, und gut ist es gleichfalls, wenn Forschende darüber neue Erkenntnisse erlangen. Die Anpassung muss schon jetzt stattfinden, sodass auch künftig trotz der Erd­er­wär­mung überhaupt noch Radfahren im Sommer möglich ist.

Ein wenig aber hakt es in der Lausitz an der Kommunikation: Eine „bald mal kühle Spur“ wäre momentan doch der passendere Name.

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